Interpretation "Effi Briest" von Theodor Fontane (Seite 3)

Effis Eitelkeit ist lediglich die einer 'Tochter aus gutem Hause'; im Grunde genommen begreift sie die Eheschließung als nichts anders als ein neues Spiel. Das Bild des schaukelnden Mädchens im ersten Kapitel steht metaphorisch für die noch nicht erlangte Reife, die von vornherein eine partnerschaftliche Beziehung kaum zulässt. So kann sie nur rein äußerlich die ihr zugewiesene gesellschaftliche Rolle als Ehefrau erfüllen. Immer noch Kind, sucht sie weniger nach einer emotionalen Bindung, sondern sehnt sich nach "Zerstreuung, immer was Neues, immer was, daß ich lachen oder weinen muß. Was ich nicht aushalten kann, ist Langeweile."

Und was ihr Sorgen macht, ist die Tatsache, dassß Innstetten ein "Mann von Grundsätzen" ist. "Ach, und ich ... ich habe keine." In Effis Charakter sind moralische Normen noch so gut wie gar nicht verankert, ganz im Gegensatz zu Innstetten, der ein Ausbund von Pflichtbewusstsein und Korrektheit ist – und aus dieser Konstellation ergibt sich das spätere Verhängnis.

Die Eltern (genauer: die Mutter) sehen sehr wohl den sich anbahnenden Konflikt. Luise von Briest weiß, dass Instetten Effis Bedürfnissen nicht gerecht werden kann: "Und was das Schlimmste ist, er wird sich nicht einmal recht mit der Frage beschäftigen, wie das wohl anzufangen sei." Doch in Erfüllung der gesellschaftlich vorgegebenen Konvention befürwortet sie die standesgemäße Eheschließung der Tochter, ebenso wie sie selber achtzehn Jahre zuvor auf eine Heirat mit Instetten verzichtet hatte. Geschieht bei der Mutter die Unterdrückung der eigenen (und Effis) persönlichen Wünsche durchaus bewusst, so ist Effis Vater vollständig in der Konvention aufgegangen. Der Verlust einer individuellen Persönlichkeitsstruktur drückt sich nicht nur in der Unfähigkeit zu einer eigenen Meinung aus, sondern ist sinnbildhaft in der Wiederholung der Redewendung "Das ist ein weites Feld" auf sprachlicher Ebene kodiert.

Das gemeinsame Eheleben in dem hinterpommerschen Badeort Kessin gestaltet sich dann eigentlich erwartungsgemäß. Instetten, ganz mit seiner Karriere beschäftigt, verbringt einen Großteil seiner Zeit außer Haus und lässt Effi dabei weitgehend isoliert zurück, zumal sie auch im Ort selbst kaum standesgemäße Kontakte knüpfen kann. So verharrt sie in ihrer noch sehr kindlichen Vorstellungswelt, was sich an ihrer Empfänglichkeit für die Spukgeschichte zeigt, die ja von Innstetten eindeutig als erzieherisches Mittel eingesetzt wird.

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