Interpretation "Ein Bericht für eine Akademie" von Franz Kafka

Die Suche nach dem missing link, dem fehlenden Glied in der Evolutionskette, ist im Grunde seit Franz Kafkas Ein Bericht für eine Akademie überflüssig geworden, nur hat die Wissenschaft davon keine Kenntnis nehmen wollen. Der Übergang vom Affen zum Menschen vollzieht sich in dem Augenblick, in welchem es dem Tier gelingt, eine Flasche Schnaps auszutrinken – mit "Hallo!", seinem ersten  menschlichen Laut, springt es daraufhin "in die Menschengemeinschaft"; der Rest geht – bei allerdings recht hohem Lehrerverbrauch – praktisch wie von selber.

Zweifelsohne hat das verbreitete Bild Kafkas als Dichter der Auswegslosigkeit, der existentiellen Abgründe, eben des Kafkaesken, dazu beigetragen, andere Facetten seiner Texte in den Hintergrund zu drängen. Zu ihnen gehört seine manchmal dem Nonsens nahe, absurde Komik, die in vielen seiner Werke zumindest anklingt, im Bericht für eine Akademie aber offen zutage tritt.

Denn wenn auch kein Zweifel daran bestehen kann, dass die angesprochene Thematik – nichts Geringeres als das Wesen des Menschseins – in ihrer Tragweite nicht verleugnet wird, so überwiegt doch eine augenzwinkernde Distanz: "Nahezu fünf Jahre trennen mich vom Affentum, eine Zeit [...], streckenweise begleitet von vortrefflichen Menschen, Ratschlägen, Beifall und Orchestralmusik [...]."

Die Menschwerdung stellt sich als Dressurakt dar; was der Affe Rotpeter als Individuum erlebt, kann auf die Entwicklung unserer gesamten Spezies übertragen werden. Das macht die Spannung dieses Berichtes aus: Die latente anthropologische Fragestellung wird immer wieder von beißender Gesellschaftssatire überlagert. Das Bild des etablierten Varietékünstlers im vorletzten Abschnitt ("die Weinflasche auf dem Tisch" und "eine kleine halbdressierte Schimpansin" im Schlafzimmer) stellt eine gnadenlose Demontage des Bürgertums und seiner selbstgerechten Zufriedenheit dar: Das also ist die Krone der Schöpfung.

Vorangegangen ist der Befund "so klage ich weder, noch bin ich zufrieden"; dem menschgewordenen Affen fehlt es nicht an Einsicht in die Beschränktheit seines neuen Zustandes. Immer wieder betont er, dass es sich bei seiner Entscheidung umd die Suche nach einem Ausweg gehandelt habe, um dem Zoologischen Garten – "nur ein neuer Gitterkäfig" – zu entkommen. Insofern zieht er, nicht ohne etwas resignierende Selbstironie, das Fazit: "Man sage nicht, es wäre der Mühe nicht wert gewesen."

Damit verrät der Text eine gehörige Portion an Kulturpessimismus und Zivilisationskritik und entwirft ein Bild der conditio humana als eher zweifelhafer Zustand, als "Menschenausweg." Nicht freiwillig hat sich der Affe seiner instinkthaften Naturverbundenheit begeben: "Ich hatte keinen anderen Weg, immer vorausgesetzt, daß nicht die Freiheit zu wählen war."