Biographie Jean Paul

Den deutschen Geistesheroen Goethe, Schiller, Wieland und Herder gilt Jean Paul als Hinterwäldler und Sonderling; als er 1796 den Parnass der Klassik, Weimar, besucht – einige Jahre später wird er sich zeitweilig ganz dort niederlassen –, ist man vor allem irritiert: Goethe ist er ein "so kompliziertes Wesen", dass sich dieser nicht die Zeit nehmen kann, sich eine Meinung über ihn zu bilden. "Man schätzt ihn bald zu hoch, bald zu tief, und niemand weiß das wunderliche Wesen recht anzufassen." Und Schiller gar erscheint er als "fremd wie einer, der aus dem Mond gefallen ist." Im Stillen aber kam man nicht umhin, sich über den sentimentalischen, kindisch-kindlichen Schwärmer und Humoristen zu mokieren. Einzig die Frauen, so scheint es, wissen etwas mit ihm anzufangen, wissen ihn "recht anzufassen"; ihre Herzen fliegen ihm zu, sie lassen sich von ihm, seinen so idyllischen Werken und seinem lebendig-naiven Charme auf das Wunderbarste unterhalten und sind in kürzester Zeit in ihn verliebt. So wird er in seiner Zeit gesehen, und so wird er von vielen noch heute gesehen.

Rolf Vollmann dreht in seiner lesenswerten Jean-Paul-Biographie Das Tolle neben dem Schönen dieses Bild versuchsweise um. Als Jean Paul Wieland einen Besuch abstattet und das Gespräch auf die in Weimar allseits verehrten alten Griechen kommt, soll er gesagt haben: "Ich lasse die alten Griechen gelten, was sie sind, aber es sind doch sehr beschränkte Geister. Welche kindische Vorstellungen haben sie von den Göttern! Wars möglich, daß sie dabei edlere und tiefere Gefühle der Menschheit hatten?"

Und: "Aber jene Jugendzeit ist vorbei, und wir sind Männer geworden. Christliche Titanen haben längst den heidnischen Himmel erstürmt und die Götter desselben in den Tartarus gestürzt. Über uns hat sich ein unendlicher Gotteshimmel und unter uns eine unergründliche Tiefe der Menschheit aufgetan. Passen dafür noch die kleinlichen Formen und Schönheitsspielereien der alten Griechen?"

Worauf sich Wieland ziemlich zerknirscht notiert: "Mit einem Wort, Jean Paul hält die Griechen für Kindsköpfe."

Und dann denke man, so wie Rolf Vollmann es vorschlägt, über das Wort von der unergründlichen Tiefe nach, die sich unter uns aufgetan hat, und man versteht, warum sie ihn in Weimar nicht verstanden haben. Und ebenso plötzlich werden aus den bewunderten Geistesheroen die eigentlichen kindisch-sentimentalischen Schwärmer, die verspielt ihrer programmatischen Klassik nachhängen und darüber den Blick auf die Realität verlieren.

Christoph Martin Wieland
Christoph Martin Wieland.
Stich nach Johann Friedrich August Tischbein (1800)