Interpretation "Der Schimmelreiter und Erzählungen" von Theodor Storm

»Meine Novellistik ist aus meiner Lyrik erwachsen«, schrieb Storm 1882 an den befreundeten Germanisten Erich Schmidt. 1847 hatte er in Biernatzkis Volksbuch auf das Jahr 1848 seine erste Erzählung, Marthe und ihre Uhr, veröffentlicht, die eher einer Skizze mit in sich abgeschlossenen, lyrisch geprägten 'Szenen' gleicht – ein episch ausgeführtes Gedicht.

Erst mit Immensee (1849) schrieb er seine erste reine und zu Lebzeiten erfolgreichste Novelle. Die »einzelnen Stimmungsbilder«, die »Situationen«, wie sie Storm auch bezeichnet hat, vereinen sich zu einem »geschlossenen Ganzen«; das es dem Leser ermöglicht, sich »ein ganzes Menschenschicksal mit der bewegenden Ursache und seinem Verlaufe bis zum Schlusse [...] vorzustellen«. Doch auch hier noch erinnert vieles an den lyrischen Beginn – die einzelnen Szenen sind wie Gedichte mit Überschriften markiert, und leitmotivisch durchzieht das Gedicht Elisabeth die Novelle – »Meine Mutter hat's gewollt/Den andern ich nehmen sollt'«.

Ähnlich schwermütig, ähnlich lyrisch gibt sich Posthuma (1849), das vom Scheitern einer Beziehung erzählt. Der resignative Ton dieser kleinen Novelle ist typisch für die frühen Erzählungen Storms.

»Innerlichste Arbeit« stellte für Storm die Niederschrift von Viola tricolor (1873) dar. Aus der Sicht der Frau verfaßt, einfühlsam, wie es selten zuvor in der deutschen Literatur vorkam, handelt die Novelle – zurückgehend auf die Probleme von Storms zweiter Ehe – von den Eingewöhnungs- und Anpassungsschwierigkeiten einer jungen Frau, die ein verwitweter Professor heiratet, damit »wieder eine dem Hausherrn ebenbürtige Frau im Innern walte«. Symbolisch dafür steht der verschlossene, verwilderte Garten, ein »Garten der Vergangenheit«, in dem der Professor seine erste Frau kennengelernt hatte, und den es zu öffnen gilt, sollen die beiden Eheleute wirklich zueinander kommen.

Verbunden mit der Liebesgeschichte ist in der Novelle Psyche (1875) die Künstlerthematik. Kunst und Liebe fungieren hier nicht mehr – wie noch in der 1873/74 entstandenen Novelle Pole Poppenspäler – als unvereinbares Oppositionspaar, sondern erfahren eine Synthese in der »lebendigen Geschichte« des Kunstwerks, das durch die Liebe entstanden ist – Liebe, die für Storm eingebettet ist im Stand bürgerlicher Ehe.

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