Ausführliche Biographie Wolfgang Borchert (1921 – 1947) (Seite 10)

„Gehen Sie doch nach Deutschland zurück!“
Die letzte Reise

Der Winter 1946/47 ist eisig. Besucher bringen Kohle und Brikett mit. Im Frühjahr machen sich Freunde und Verleger an den Plan, Borchert einen Kuraufenthalt in der Schweiz zu ermöglichen, da man sich hier bessere Behandlungs- und Heilungschancen erhofft – was sich aber durch bürokratische Hürden bis in den September hineinzieht. Wolfgang Borchert geht es sehr schlecht; er leidet immer wieder unter Fieberanfällen, erträgt gesunde Besucher kaum noch, wendet sich weg zur Wand. Am 22. September 1947 endlich kann sich Borchert, begleitet von seiner Mutter, auf die lange Zugreise machen. Eine Hochstimmung kommt auf, die abgelöst wird von Atemnot; als die Mutter ihn auf den Rhein aufmerksam macht, sagt er: „Mist-Rhein. Ich hab die Elbe nicht mehr sehen können, nun will ich den Rhein auch nicht sehen.“

Ins Clara-Spital in Basel darf die Mutter nicht mit; sie muss am Grenzbahnhof Weil ihren Sohn allein ziehen lassen. Der Verleger begrüßt ihn und geleitet ihn ins Spital. Borchert, im kahlen Zimmer, allein, fühlt sich völlig unglücklich und einsam. Die Schwestern sind unpersönlich; Besucher kommen nicht; niemand weiß hier, dass er in seiner fernen Heimat ein berühmter Mann ist. Zahlreiche deutsche Bühnen haben sein Stück bereits geprüft und angenommen.

Doch hier, im katholischen Krankenhaus, ist er ein Ausländer und dazu Protestant. Als er nach einem Krampfanfall zu Boden fällt, schreit ihn ein Pfleger an: „Was wollen Sie überhaupt hier in der Schweiz? Gehen Sie doch nach Deutschland zurück, wo Sie hingehören!“ Darauf bricht Borchert zusammen und hat eine schwere Leberblutung, darf nur noch auf dem Rücken liegen. Seine Kräfte schwinden.

In dieser Einsamkeit besucht ihn hauptsächlich der Speditionsangestellte Martin F. Cordes, der Theologie studiert hatte. Er hatte von Borchert gehört, dass dieser sehr lange Haare und eine hohe Stimme habe, und ihn sich als „poetisch“ abgehobenen Jüngling vorgestellt; doch er ist überrascht und beschreibt ihn in einem Brief an seine Eltern so: „Hier war wirklich männliche Leidenschaft zum Leben und Handeln, verbunden mit dem Ausdrucks- und Gestaltungswillen des Schauspielers und Dramatikers.“ Cordes möchte den kranken Zweifler gern bekehren, woraus sich ein intensiver Briefwechsel zwischen den beiden ergibt.

Borchert fühlt sich in diesem Krankenhaus nicht wohl; die Schwestern und Ärzte haben wenig Verständnis für seine Situation als Opfer des Nationalsozialismus und des Krieges; aus Deutschland kann kein Geld überwiesen werden. Die beiden emigrierten Verleger Dr. Goverts und Dr. Oprecht sind nicht in der Lage, ihm ein „Taschengeld“ zukommen zu lassen; Wolfgang hat nicht einmal das Geld, sich rasieren zu lassen; der Spitalbarbier, der einmal Hamburg besucht hatte, tut es großzügigerweise umsonst.

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