Interpretation "Der Richter und sein Henker" von Friedrich Dürrenmatt (Seite 2)

Dementsprechend ähnelt der Roman vom Spannungsaufbau einem klassischen Krimi, behandelt am Ende aber auch tiefergehende Fragen. Der Text beginnt wie jeder Krimi mit einer Leiche; der Leser fragt sich, wer der Mörder ist, und wird durch zahlreiche Vorausdeutungen immer weiter in die Geschichte hineingezogen. Was verbirgt sich hinter der geheimnisvollen Mappe, die Bärlach zu Anfang des Romans an sich nimmt? Von wem wird der Kommissar nachts überfallen? Im Kern der Geschichte geht es jedoch nicht um das althergebrachte Who-done-it, also die einfache Frage nach dem Mörder, sondern um die moralischen Aspekte der Beziehung zwischen Bärlach und Gastmann. Vor vierzig Jahren haben die beiden gewettet, ob sich ein Verbrechen so perfekt ausführen ließe, dass es niemals entdeckt und gesühnt werden kann. Gastmann, der diese Theorie vertritt, ist zum Mörder geworden, um seine These zu beweisen, und tatsächlich hat Bärlach ihn niemals überführen können. Um vor seinem Tod den Gegenspieler nun doch noch zu richten, sorgt Bärlach dafür, dass Gastmann erschossen wird. Damit hat er seinen Gegner zwar zur Strecke gebracht, die Wette im Grunde aber endgültig verloren. Auch Bärlach ist zum Mörder geworden und kommt als solcher – ganz wie Gastmann es immer prophezeit hat – ungeschoren davon.

Deutlich herauszulesen aus dem Text ist schließlich Dürrenmatts pessimistische Weltsicht. Nach der Erfahrung des Zweiten Weltkriegs kann und will der Autor seinem Leser kein funktionierendes Wertesystem mehr vorspielen. Die Moral ist für Dürrenmatt in der Welt endgültig korrumpiert worden, trotz aller Bildung und Zivilisation läuft das Verhalten des Menschen immer auf Mord und Totschlag hinaus.

Seiten