Ungekürztes Werk "Soll und Haben" von Gustav Freytag (Seite 556)

alte Sturm, »unser Herrgott wollte ihn zu sich nehmen, grade als er bei seiner besten Arbeit war. Das war ehrenvoll für ihn, und kein Mensch kann schöner die Erde verlassen. Für sein Vaterland und für seine Eltern zog er in seinem Schnurrock aus, und er war siegreich und jagte die Polacken in die Felder, als der Herr seinen Namen rief und ihn unter seine eigene Garde versetzte.«

»Ich aber mußte zurückbleiben«, sagte der Freiherr.

»Und mich freut's, daß ich unsern jungen Herrn noch gesehn habe«, fuhr Sturm mit großer Beredsamkeit fort, »denn wie Sie wissen, war er damals unser junger Herr. Sie vertrauten meinem Karl die ganze Wirtschaft an, und so war es für mich eine Ehre, auch Ihrem Herrn Sohn ein Vertrauen zu zeigen.«

»Es war unrecht, daß er zu Ihnen kam Geld zu borgen«, sagte der Freiherr kopfschüttelnd. Und er sagte so, weil er die trostvolle Antwort Sturms schon oft gehört hatte und sie wieder hören wollte.

Der Riese legte sein Schnitzeisen weg, fuhr sich in die Haare und bemühte sich, recht unternehmend auszusehn, als er in leichtsinnigem Ton begann: »Wissen Sie was, man muß mit einem jungen Herrn auch Nachsicht haben. Jugend will austoben. Es borgt sich mancher Geld in jungen Jahren, und vollends wenn einer einen so lustigen Rock hat, mit Quasten und Silber. Wir waren auch keine Geizhälse, Herr Baron«, fuhr er bittend fort und klopfte mit seinem Eisen leise an die Knie des Blinden. »Und der Herr Offizier war sehr artig, und ich glaube, er war etwas verlegen. Und als ich ihm das Geld gab, sah ich ihm an, wie leid es ihm tat, daß er es brauchte. Ich gab's ihm um so lieber. Und als ich ihm in die Droschke half und er sich aus dem Wagen beugte, ich versichere Ihnen, da war er ganz bewegt, er griff mit beiden kleinen Händen heraus und suchte meine Faust, um sie noch einmal zu schütteln. Und wie er so da saß, fiel das Licht der Straßenlaterne in sein Gesicht. Es war in diesem Augenblick ein freundliches liebes Gesicht, etwa wie das Ihrige und noch mehr wie das der Frau Baronin, soweit ich dieses gesehn habe.«

Auch der Blinde streckte die Hände aus und suchte die Faust des Aufladers. Sturm schob die Schnitzbank vor, faßte mit seiner Rechten die Hände des Freiherrn und streichelte sie mit der Linken. So saßen beide stumm nebeneinander.

Endlich begann der Freiherr mit gebrochener Stimme: »Sie sind der letzte Mensch gewesen, der meinem Eugen Freundlichkeit bewiesen hat – ich danke Ihnen, ich danke Ihnen von Herzen. Es ist ein unglücklicher zerschmetterter Mann, der Ihnen das sagt. Aber solange ich noch auf dieser Erde lebe, werde ich den Segen des Höchsten für Sie erflehn. Es sollte nicht sein, daß mein Sohn mir in meinen alten Tagen den wankenden Schritt stützte, Ihnen aber hat der Himmel einen guten Sohn erhalten. Was ich von Friede und Glück für meinen armen Eugen wünschen würde, das, flehe ich zu Gott, soll Ihrem Sohn werden.«

Sturm fuhr sich über die Augen und umschloß gleich

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