Ungekürztes Werk "Soll und Haben" von Gustav Freytag (Seite 557)

darauf wieder die Hände des Freiherrn. So saßen die beiden Väter wieder stumm nebeneinander, bis der Freiherr sich mit einem Seufzer erhob. Behutsam faßte Sturm den Arm des Blinden und führte ihn über Hof und Anger bis auf die Rampe des Schlosses. Jetzt ist ein Weg zu der Turmtür aufgeschüttet, er hat eine Vormauer von großen Quadersteinen, und man kann zu Fuß und zu Wagen die Turmtür erreichen. Und Sturm zieht den Draht einer Glocke, der Diener des Freiherrn eilt herzu und führt seinen Herrn die Schloßtreppe hinauf, denn das Treppensteigen wird dem Vater Sturm noch sauer. –

In den Wirtschaftshof fuhr unterdes ein Wagen, Karl eilte respektvoll aus seiner Stube, der neue Gutsherr sprang herab.

»Guten Tag, Sergeant«, rief Fink, »wie steht's im Schlosse und in der Wirtschaft? Was macht das Fräulein und die Frau Baronin?«

»Alles in Ordnung«, meldete Karl, »nur mit der Frau Baronin geht's schwach. Wir erwarteten Sie schon seit vierzehn Tagen. Die Herrschaften im Schloß haben alle Tage gefragt, ob keine Nachricht von Ihnen gekommen sei.«

»Ich wurde aufgehalten«, sagte Fink, »und ich wäre vielleicht noch nicht zurück, aber seit dem Schneefall ist nicht mehr viel an den Gütern zu sehn. Ich habe Dobrowitz gekauft.«

»Alle Wetter!« rief Karl erfreut.

»Mächtiger Boden«, fuhr Fink fort, »fünfhundert Morgen Laubwald, in dem die Baumasche fast einen Fuß hoch liegt. In dem polnischem Loch daneben, das sie dort Kreisstadt nennen, fuhr das Schachervolk wie Ameisen durcheinander, als es erfuhr, daß von jetzt unser Sporn täglich über ihren Markt klirren soll. Sie aber, Amtmann, werden sich freuen, wenn Sie das neue Gut sehn. Ich habe Lust, Sie im ersten Frühjahr hinzuschicken.

Was halten Sie in der Hand? Ein Schreiben von Anton? Geben Sie her.«

Er brach den Brief hastig auf. »Ist das Fräulein im Schloß?« –

»Ja, Herr von Fink.« – »Gut. Heut abend geht ein Bote zum Pastor nach Neudorf.« Mit schnellen Schritten ging er nach dem Schloß.

Lenore saß in ihrem Zimmer, um sie herum lag zerschnittene Leinwand, sie nähte. Emsig stach sie mit der Nadel in den harten Stoff, legte zuweilen die Naht auf das Knie, glättete mit dem Fingerhut und betrachtete dann mißtrauisch die einzelnen Stiche, ob sie auch klein und regelmäßig waren. Da klang auf dem Korridor der schnelle Schritt, sie sprang auf, und krampfhaft preßte ihre Hand die Leinwand zusammen. Aber sie faßte sich mit kräftigem Entschluß und setzte sich wieder zu ihrer Arbeit. Es klopfte an ihre Tür. Ein tiefes Rot stieg ihr langsam über Hals und Wange, und ihr Herein! gelangte kaum bis an das Ohr des Gastes. Der eintretende Fink sah sich neugierig in dem schmucklosen Raume um; an der Wand einige Kreidezeichnungen Lenores, sonst nur der unentbehrlichste Hausrat. Das kleine Sofa aus Pantherfellen stand nicht mehr darin.

Als Fink sich vor Lenore verneigte, frug sie in gleichgültigem Ton: »Hat etwas Unangenehmes Sie aufgehalten, wir alle machten uns Sorge.«

»Ein Gut, das ich gekauft habe, verzögerte die Rückkehr. Jetzt komme ich in Eile, mich bei meiner Herrin zu melden; zugleich bringe ich Ihnen ein Paket, welches Anton für die Frau Baronin gesandt

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