Ungekürztes Werk "Soll und Haben" von Gustav Freytag (Seite 562)

nehme.«

»Abschied!« rief der Hausherr verwundert. »Ich verstehe nicht, weshalb das so eilig ist. In unserm Hause sollen Sie sich erholen, die Frauen sollen besser für Sie sorgen, als sie bisher getan. Wohlfart beklagt sich über dich, Sabine. Er sieht blaß und angegriffen aus. Du und die Tante, ihr dürft so etwas nicht leiden.«

Sabine antwortete nichts.

»Ich muß fort, Herr Schröter«, sprach Anton fest, »morgen reise ich ab.«

»Und wollen Sie Ihren Freunden nicht sagen, weshalb dies so plötzlich sein muß?« frug der Kaufmann ernsthaft.

»Sie wissen weshalb. – Ich habe mit meiner Vergangenheit abgeschlossen. Ich habe bis jetzt schlecht für meine Zukunft gesorgt, denn ich bin in der Lage, mir in der Fremde als Dienender erst Zutrauen und gute Gesinnung erwerben zu müssen. – Ich bin auch an Freunden sehr arm geworden. Von allen Menschen, welche mir lieb sind, muß ich mich entfernt halten auf Jahre, auf lange Zeit. Ich habe einige Ursache, mich allein zu fühlen, und da ich mein Leben von neuem gestalten muß, so soll das so bald als möglich geschehen, denn jeder Tag, den ich hier verlebe, ist fruchtlos, er macht meine Kraft geringer und die notwendige Trennung schwerer.« So sprach er mit tiefer Bewegung; die Stimme bebte ihm, aber er verlor nicht seine ruhige Haltung. Er trat auf Sabine zu und faßte ihre Hand. »In dieser letzten Stunde sage ich Ihnen, in Gegenwart Ihres Bruders, was zu hören Sie nicht beleidigen kann, weil Sie auch das schon längst wissen. – Die Trennung von Ihnen schmerzt mich mehr, als ich sagen kann. Leben Sie wohl.« Jetzt übermannte ihn die Rührung, er wandte sich schnell ab und trat an das Fenster.

Der Kaufmann begann nach einer Pause. »Daß Sie so eilig von uns gehen, lieber Wohlfart, kommt auch meiner Schwester ungelegen. Sabine hatte gerade jetzt den Wunsch, Sie um einen Ritterdienst zu ersuchen, wie ihn die Schwester eines Kaufmanns verlangen kann. Auch ich wünsche sehr, daß Sie diese Bitte nicht abschlagen. Sabine bittet, daß Sie ihr einige Blätter durchsehen und dabei ihr Interesse mir gegenüber wahrnehmen. Es ist keine große Arbeit.«

Anton wandte sich mit Überwindung um und machte ein Zeichen der Einwilligung.

»Zuvor aber erfahren Sie einen Umstand, der Ihnen vielleicht noch nicht bekannt ist«, fuhr der Kaufmann fort. »Sabine ist seit dem Tode meines Vaters mein stiller Associé; ihr Rat und ihre Willensmeinung hat in unserm Comtoir öfter den Ausschlag gegeben, als Sie wohl meinen. Sie ist auch Ihr Chef gewesen, lieber Wohlfart.« Er winkte der Schwester und verließ das Zimmer.

Erstaunt sah Anton auf den Chef im hellen Frauengewande mit schwarzen Haarflechten. Manches Jahr hatte er, ohne es zu wissen, auch ihr gehorcht und ihr zu Diensten gehandelt. Und wie in alter Zeit sich der reisige Vasall seiner jungen Lehnsherrin neigte, so verneigte auch er sich unwillkürlich vor der jungfräulichen Gestalt, welche jetzt mit geröteten Wangen auf ihn zutrat.

»Ja, Wohlfart«, sprach Sabine schüchtern. »Auch ich habe ein kleines Anrecht an Ihr Leben gehabt. Und wie stolz war ich darauf! – Schon um die Weihnachtskiste, welche in Ihr Haus kam, wußte ich,

Seiten