Ungekürztes Werk "Soll und Haben" von Gustav Freytag (Seite 7)

eingehegtem Wiesenraum eine Anzahl Füllen gesehen und ihre lustigen Sprünge beobachtet. Der Respekt vor allem, was stattlich, sicher und mit Selbstgefühl in der Welt auftritt, war ihm, dem armen Sohn des Kalkulators, angeboren, und wenn er jetzt in der reinen Freude über die Pracht, welche ihn umgab, an sich selbst dachte, erschien er sich als höchst unbedeutend, als gar nicht der Rede wert, als eine Art gesellschaftlicher Däumling, winzig, kaum sichtbar im Grase. Unwillkürlich fuhr er in die Rocktasche, seine Handschuhe herauszuholen. Sie waren von gelbem Zwirn, und noch seine gute Mutter hatte gesagt, sie sähen ganz aus wie seidene, und seidene Handschuhe galten in Ostrau für den höchsten Luxus. Der arme Junge zog mit ihnen die Überzeugung an, daß er durch sie seiner jetzigen Umgebung doch um einige Gran würdiger werde.

Lange saß er in tiefer Einsamkeit; endlich kam Bewegung in das stille Bild. Auf den Balkon des Hauses trat durch die geöffnete Tür eine zierliche Frauengestalt im hellen Sommerkleide mit weiten Spitzenärmeln und einer liebenswürdigen Frisur, wie sie Anton von alten Rokokobildern her kannte; er konnte deutlich die feinen Züge ihres Gesichts erkennen und den klaren Blick des Auges, welcher auf dem Rasenplatz unter ihren Füßen ruhte. Die Dame stand auf das Geländer gestützt, bewegungslos wie eine Statue, und Anton sah ehrerbietig zu ihr auf. Endlich flog aus der offenen Tür hinter der Dame ein bunter Papagei, setzte sich auf ihre Hand und ließ sich von ihr liebkosen. Dies glänzende Tier steigerte Antons Bewunderung. Und als dem Papagei ein fast erwachsenes Mädchen folgte, welches schmeichelnd den Hals der schönen Frau umschlang, und als die Dame zärtlich die Wange des Mädchens an die ihre drückte, und als der Papagei auf die Köpfe der beiden Damen flog und laut schreiend von einer Schulter zur anderen sprang, da wurde das Gefühl der Verehrung in Anton so lebhaft, daß er vor innerer Aufregung errötete und sich tiefer in den Schatten des Gebüsches zurückzog.

Er dachte an die beiden schönen Frauengestalten auf dem Balkon und ging mit elastischem Schritt wie einer, dem etwas Fröhliches begegnet ist, den breiten Weg zurück, um einen Ausgang aus dem Garten zu finden. Da hörte er hinter sich das Schnauben eines Pferdes. Auf einem schwarzen Pony kam die jüngere der beiden Damen in seinem Wege geritten, die schlanke Gestalt saß sicher auf dem Pferde und gebrauchte einen Sonnenschirm als Reitgerte. Die Damenwelt von Ostrau hatte nicht die Gewohnheit, auf kleinen Pferden umherzureiten. Nur einmal hatte Anton eine Kunstreiterin gesehen mit sehr roten Wangen und einem langen roten Kleide, welche, begleitet von einem großen schwarzbärtigen Herrn, hinter dem lustigen Bajazzo durch die Straßen ritt und an jeder Straßenecke anhielt, wo ihr Pferd einen Sprung machte, und Bajazzo unerhört lächerliche Worte zu der versammelten Jugend sprach. Schon damals hatte er mit unsäglicher Bewunderung die schöne Reiterin betrachtet, und jetzt war er ganz Mann, dasselbe Gefühl womöglich in stärkerem Grade zu empfinden. Er blieb stehen und machte der Reiterin eine ehrfurchtsvolle Verbeugung. Diese erwiderte die Huldigung mit graziösem Kopfnicken, worauf sie plötzlich ihr

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