Interpretation "Deutschland. Ein Wintermärchen" von Heinrich Heine (Seite 2)

Welchen Schwierigkeiten sich Heine in seiner kritischen Beschäftigung mit Deutschland ausgesetzt sieht, wird – zumindest ansatzweise – in der Hammonia-Episode deutlich. Zweifellos liegt der Grund für Heines Ausweichen nicht in den objektiven Verhältnissen, der Hölle, durch die zu gehen er unter Führung Hammonias, Hamburgs Schutzgöttin, gewillt ist (Caput XXIII) und in die er geradewegs blickt, als er die Zukunft Deutschlands schauen darf. Aber mehr als eine geradezu verzweifelte Parodie gelingt ihm nicht, ein Lösungsansatz ist nicht in Sicht: "Doch dieser deutsche Zukunftsduft/Mocht alles überragen,/Was meine Nase je geahnt –/Ich konnt es nicht länger ertragen – – –"

Denn noch etwas anderes wird deutlich: Hammonia – genealogisch führt sie sich auf Karl den Großen zurück, in früheren Jahren hatte sie Klopstock als Dichter verehrt – lässt ihn nicht nur einen Blick in die Zukunft werfen, sie steht auch für die deutsche Vergangenheit; was sich dem lyrischen Ich hier entgegenstreckt, ist nicht nur Deutschlands Zukunft, sondern auch seine politische und kulturelle Tradition – eine Tradition, der sich Heine durchaus zugehörig fühlt.

Gegen die Verhältnisse in Deutschland anzuschreiben bedeutet somit, gegen sich selbst anzuschreiben; der äußere Konflikt wird für Heine auch zu einem inneren. Dass die gesamte Hammonia-Episode ein Traumgebilde ist, eine Auseinandersetzung, die sich im Inneren des lyrischen Ich abspielt, hebt dies nur um so stärker hervor. Und nicht einmal hier, im Traum, diesem "Luftreich der Deutschen" (Caput VII), gibt es ein Entrinnen aus Deutschlands trübseliger Gegenwart. Das Problem 'Deutschland' ist für Heine nicht zu lösen.

Seiten