Interpretation "Die Elixiere des Teufels" von E.T.A. Hofmann (Seite 2)

Medardus Wirrungen sind nichts anderes als die Suche nach der eigenen Identität. Ständig erfindet er neue Vitae, die in den überaus dynamischen Beziehungsgeflechten schnell zusammenbrechen, aufs Neue konstruiert werden, um sich dann wieder in den Strudeln der Ereignisse als inadäquat zu erweisen. Seine Lebensbeschreibung, die nachgelassenen Papiere des Bruders Medardus, so der Untertitel, verfolgt kein anderes Ziel als dieses: sich schreibend eine Identität geben.

In gewissem Sinne könnte der Roman daher als Bildungsroman bezeichnet werden. Hoffmann allerdings ist weit entfernt von der klassischen Utopie, ein stabiles Bewusstsein anzunehmen, das sich nach Durchlaufen prägender Ereignisse geradlinig formt. Seine Figuren sind, so wie Medardus, zerrissen; was sich als Bewusstsein herauskristallisiert, ist das Ergebnis eines niemals vollendeten Prozesses.

Konsequenterweise endet das Buch mit dem Tod des Mönchs. Das heißt jedoch nicht, dass das Subjekt dem Zufall und den überwältigenden äußeren Ereignissen fatalistisch ausgesetzt ist. Medardus spricht dies an, der Papst aber belehrt ihn eines anderen: "... der ewige Geist schuf einen Riesen, der jenes blinde Tier, das in uns wütet, zu bändigen und in Fesseln zu schlagen vermag. Bewußtsein heißt dieser Riese, aus dessen Kampf mit dem Tier sich die Spontaneität erzeugt. Des Riesen Sieg ist die Tugend, der Sieg des Tieres, die Sünde."
Zu jeder Zeit ist Medardus demnach schuldfähig. Aber noch etwas anderes klingt hier an – etwas, das der selbsternannte Narr Peter Schönfeld alias Pietro Belcampo in seiner eigenen Art deutlicher zu verstehen gibt: "Die Narrheit erscheint auf Erden, wie die wahre Geisterkönigin. Die Vernunft ist nur ein träger Statthalter, der sich nie darum kümmert, was außer den Grenzen des Reichs vorgeht, der nur aus Langerweile auf dem Paradeplatz die Soldaten exerzieren läßt, die können nachher keinen ordentlichen Schuß tun, wenn der Feind eindringt von außen. Aber die Narrheit, die wahre Königin des Volks zieht ein mit Pauken und Trompeten: hussa hussa! – hinter ihr her Jubel – Jubel – Die Vasallen erheben sich von den Plätzen, wo sie die Vernunft einsperrte, und wollen nicht mehr stehen, sitzen und liegen wie der pedantische Hofmeister es will; der sieht die Nummern durch und spricht: 'Seht, die Narrheit hat mir meine besten Eleven entrückt – fortgerückt – verrückt – ja sie sind verrückt worden.' Das ist ein Wortspiel, Brüderlein Medardus – ein Wortspiel ist ein glühendes Lockeneisen in der Hand der Narrheit, womit sie Gedanken krümmt."

Seiten