Interpretation "Maler Nolten" von Eduard Mörike (Seite 2)

Mörike, der Dichter der Abgründe – nirgends ist dies deutlicher zu spüren als in seinem einzigen Roman Maler Nolten, dessen erste Fassung 1832 erscheint (die Umarbeitung, 1859 begonnen, wird allerdings nicht beendet). Einer der düstersten Romane der deutschen Literatur, so Benno von Wiese: Liebe, Wahnsinn und Tod und ihre schicksalshafte Verschränkung münden in eine Reihe von Katastrophen von geradezu shakespearehaftem Ausmaß. Doch so nahe der Roman darin der Romantik steht, so modern mutet er in der Beschreibung innerer Vorgänge und ihrer psychologischen Motivierung an: in der minutiös-analytischen Durchdringung erotischer Leidenschaft, in den Monologen der wahnsinnigen Agnes und in der Verzweiflung Noltens. Verzweiflung an einer Welt, die in ihrer nicht mehr zu ordnenden, fassungslosen Sinnlosigkeit das Individuum ständig zu übermächtigen droht: "O Leben! o Tod! Rätsel aus Rätseln! Wo wir den Sinn am sichersten zu treffen meinten, da liegt er so selten, und wo man ihn nicht suchte, da gibt er sich auf einmal halb und von ferne zu erkennen, und verschwindet, eh man ihn festhalten kann!" Kein Glaube, und schon gar nicht der christliche, bietet Nolten noch Trost: "O daß ein Schlaf sich auf mich legte, wie Berge so schwer und so dumpf! Daß ich nichts wüßte von gestern und heute und morgen! Daß eine Gottheit diesen mattgehetzten Geist, weichbettend, in das alte Nichts hinfallen ließe!"

Trost (wenn überhaupt), Schutz vor dem Ausgeliefertsein an die Welt und das Schicksal birgt nur die Kunst; in der Einmaligkeit des Augenblicks, der sich als Quelle der Inspiration blitzartig auftut, entsteht und vollendet sich das Schöne. Aber nicht herausgenommen, abgeschieden vom Leben ist dieses Schöne, sondern steht und erwächst in seiner Einmaligkeit mitten darin: flüchtige Momente, in denen Wahrheit in ihrem griechischen Sinn als Unverborgenheit des Wesens – des Wesens der Dinge, des Menschen – aufleuchtet, wie es in dem berühmten Schlußvers des Gedichts Auf eine Lampe ausgesprochen ist:

"Noch unverrückt, o schöne Lampe, schmückest du,
An leichten Ketten zierlich aufgehangen hier,
Die Decke des nun fast vergeßnen Lustgemachs.
Auf deiner weißen Marmorschale, deren Rand
Der Efeukranz von goldengrünem Erz umflicht,
Schlingt fröhlich eine Kinderschar den Ringelreihn.
Wie reizend alles! lachend, und ein sanfter Geist
Des Ernstes doch ergossen um die ganze
Form –
Ein Kunstgebild der echten Art. Wer achtet sein?
Was aber schön ist, selig scheint es in ihm selbst."

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