Interpretation "Ästhetik des Widerstands" von Peter Weiss

Eine vollständige Interpretation der zwischen 1975 und 1981 erschienenen, knapp tausendseitigen Trilogie „Ästhetik des Widerstandes“ zu geben, ist nahezu unmöglich, zu viele unterschiedliche Themen werden angeschnitten, unter den verschiedensten Aspekten diskutiert und zu einem Panorama einer sozialistischen Vielfalt zusammengeschmiedet. Interessant dabei ist, dass auf den ersten Blick die Perspektive eine negative zu sein scheint. Zwar ist am Ende des Romans der Faschismus besiegt, doch bleibt die Linke heillos zerstritten. Die „Ästhetik des Widerstandes“ vollzieht den Sprung in eine bessere Zukunft nicht mehr. In diesem Sinne ist sie hoffnungsärmer als die Dramen „Trotzki“ und „Hölderlin“.

Doch es gibt auch eine positive Lesart: Wie bereits in seinen vorherigen Werken, steht die Historie Modell, diesmal in einem doppelten Sinne. Anhand von politischen Auseinandersetzungen ebenso wie an einzelnen Kunstwerken zeigt Weiss zum einen, wie es war, zum anderen, dass es nicht mehr so sein soll. In anderen Worten: Die Beschreibung der Geschichte des antifaschistischen Kampfes zeigt nicht, wie es anders sein könnte, sondern dass es anders sein müsste. Die positive Perspektive der „Ästhetik“ findet sich also nicht im Text selbst, sondern außerhalb, bei den Leserinnen und Lesern und ihrer politischen Praxis. In diesem Sinne vertritt der Roman einen stark emanzipatorischen Anspruch – ein Anspruch, der jedoch stets, ganz im Sinne des doppelten Charakters des Textes, mit Scheitern und Leiden verbunden.

Dem gesamten Erzählkonstrukt liegt die Denkstruktur eines trotzigen „und doch“ zugrunde, wie es Peter Hanenberg genannt hat: „Der Widerstand der Unterdrückten gegen die Unterdrücker hat immer neue Formen gefunden, 'und doch' werden einst „sie“ mächtig sein und ihrer Unterdrückung ein Ende bereiten.“ In der „Ästhetik“ wird diese Struktur von der Figur des Gymnasiasten Heilmann am Beispiel des Herakles-Mythos entwickelt. In einem ersten Schritt, angeregt durch die Leerstelle, die seinen Platz auf dem Pergamon-Fries zu erkennen gibt, beschreibt er Heraklas, „der unseresgleichen war“, als ein Vorbild für den Widerstand gegen die Nationalsozialisten. Herakles hat aktiv nach Veränderungen gestrebt und sich bewusst dem Feind entgegen gestellt. Dennoch bleibt eine Beunruhigung in diesem Verständnis zurück, da Herakles nicht nur die gewollte Veränderung vor Augen führt, sondern auch das Scheitern an der Aufgabe: „Und doch, sagt Heilmann nach einer Weile, ... und doch kam er um unter furchtbarer Pein, niemandem gelang es, ihm das mit dem vergifteten Blut des Nessos getränkte Hemd von der Haut zu reißen, und ihn daran zu hindern, sich im Wahnsinn des Schmerzes in den immer brennenden Scheiterhaufen zu werfen, auf dem Berg Oite.“ Der positiven Erfahrung seiner Taten steht als Kritik sein Scheitern am Ende gegenüber.

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