Literaturepoche Aufklärung (Seite 4)

In diesen literarischen Zusammenhang wird – oft einseitig reduzierend – auch Christoph Martin Wieland gestellt, einer der bedeutendsten deutschen Autoren des 18. Jahrhunderts. Von den Stürmern und Drängern wegen seiner weltmännischen, Frivolitäten nicht scheuenden Art zum Erzfeind erklärt, war Wieland ein vielseitiger, im Geiste der Aufklärung gereifter, jedoch eigenständiger und origineller Schriftsteller. Der von ihm herausgegebene Teutsche Merkur als die literarische Zeitschrift seiner Epoche, seine Shakespeare- und Lukian-Übersetzungen haben das literarische Leben der zweiten Jahrhunderthälfte entscheidend mitbestimmt. Vor allem aber seine Romane machen ihn zum wichtigsten deutschen Prosaisten des 18. Jahrhunderts. Mit der Geschichte des Agathon (zuerst 1766), die mit ironischer Distanz und scharfer Beobachtungsgabe die Entwicklung eines jungen Menschen schildert und leider noch von vielen als vermeintlich lästige Pflichtlektüre ungelesen ins Regal gestellt wird, schrieb er nicht nur den wichtigsten narrativen Text seit Grimmelshausens Simplicissimus, sondern begründete damit auch eine für das folgende Jahrhundert zentrale Textsorte: den Bildungsroman.

Ironie und Tiefsinn kennzeichnen auch einen anderen Vertreter der Aufklärung, der seiner literarischen Produktion allerdings eine diametral entgegengesetzte Form gab: der Physiker und Publizist Georg Christoph Lichtenberg hinterließ mit seinen Aphorismen (erst posthum, 1902–1908 [!] erschienen) Dokumente eines freien, kritischen Geistes, dessen unkonventionelle Einstellung und präziser Sprachwitz heute noch aktuell sind und selbst von Satirikern unserer Tage, wie z. B. Eckhard Henscheid, als Vorbild angesehen werden.

Daß Kürze und Prägnanz für die Aufklärer besonders willkommen und erstrebenswert sein mußten, erklärt sich aus ihrem moralisch-didaktischen Anspruch (der allerdings oft auch zu Langatmigkeit und pedantischer Erklärungswut führte), und so lieferte die Fabel als traditionelle Kurzform mit lehrhaftem Inhalt ein ideales Genre, dessen sich fast alle Schriftsteller der Zeit annahmen. Den größten Erfolg hatten die Fabeln und Erzählungen Christian Fürchtegott Gellerts (1746 und 1748), die, nach dem Vorbild von La Fontaine konzipiert, durch ihren ungekünstelten Volkston in breiten Bevölkerungsschichten beliebt und über die Grenzen Deutschlands bekannt wurden.

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