Literaturepoche Biedermeier (Seite 4)

Wenn Grillparzer »der Dichter der skeptischen Reflexion und der resignierenden Weisheit« (Wolfgang Müller) genannt worden ist, so heißt das nicht, daß in seinen Dramen der Handelnde sich schuldig macht, während der Leidende seine Reinheit bewahrt. Das Zögern und Zweifeln ist ein Charakteristikum aller Grillparzerschen Figuren, durch die das Wissen des Autors um die Bedingtheit menschlichen Tuns und Strebens zum Ausdruck kommt.

Gefangen in ihrer von Milieu, materieller Not und archaisch-triebhaftem Denken und Fühlen bestimmten Welt, sind die Personen in Annette von Droste-Hülshoffs Meisternovelle Die Judenbuche. Ein Sittengemälde aus dem gebirgichten Westfalen (1842) nur in geringem Maße wirklich Handelnde; vielmehr kann ihr Verhalten als bloßes, fast instinktives Reagieren auf äußere, von Gesellschaft und Natur gesetzte Umstände aufgefaßt werden. In diesem Prosawerk nimmt die Autorin (eigentlich Anna Elisabeth Freiin Droste zu Hülshoff) Züge des Naturalismus voraus, so wie sie auch in anderen Erzählungen (Bei uns zu Lande auf dem Lande, 1840, Bilder aus Westfalen, 1842), wenn auch nicht mit derselben Intensität, einen besonderen Schwerpunkt auf die möglichst detaillierte und atmosphärisch dichte Schilderung der Lebensumstände des Landadels wie des einfachen Volkes legt.

Doch in die um Objektivität bemühte Darstellungsweise der Judenbuche flicht sich eine auf eigentümliche Art divergierende und doch organisch verbundene Thematisierung von Natur, die über das rein Deskriptive weit hinausgeht und Moor und Wald, Gewitter und Nebel etwas Unheimliches und Bedrohliches verleiht. Dieser Aspekt, der in den Versepen der Droste-Hülshoff überspitzt wirkt, läßt sich in ihrer Lyrik reiner und 'stimmiger' wiederfinden.

Unter den Begriff Naturlyrik, zu der viele ihrer Gedichte zweifelsohne zu rechnen sind, lassen sich im Prinzip alle Texte subsummieren, die eben Natur auf die eine oder andere Weise zum Gegenstand haben – das Kennzeichnende an Drostes Lyrik ist die magische Dimension, die Bäume, Vögel, Wolken, vor allem auch Formen und Geräusche erhalten. Ob düster oder freundlich: in Gedichten wie Der Knabe im Moor, Der Weiher, Durchwachte Nacht oder Im Grase ist stets etwas Dämonisches zu spüren; die Erscheinungen der Natur sind nie bloßer Hintergrund, nie bloße Träger von Stimmungen, andererseits auch nie reine Symbole: sie sind wesenhaft, sind am Weltgeschehen beteiligt, besitzen geheimnisvolle Macht.

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