Literaturepoche Romantik (Seite 2)

Doch ging es den Romantikern nicht darum, durch Literatur eine Welt der Illusion entstehen zu lassen, sondern um eine ganzheitliche Poetisierung des Lebens, die in den Biographien vieler Vertreter der Romantik in Briefen und Handlungen ihren Ausdruck fand. So konvertierten z. B. Friedrich Schlegel, Clemens Brentano und viele andere zum Katholizismus, als Zeichen für die Hinwendung zum Metaphysisch-Religiösen, oder wurde Novalis' Krankheit und früher Tod dahingehend gedeutet, er sei seiner dreizehnjährigen Braut, die drei Jahre vor ihm verschied, »entgegengestorben«. Krasser war in der Konsequenz ihres Handelns Karoline von Günderode, Verfasserin von diversen Skizzen und Gedichten (darunter Poetische Fragmente, 1805) – eine der legendären Frauen der Romantik: als ihr verheirateter Geliebter seine Scheidungsabsichten aufgab, erstach sie sich auf einem Friedhof.

Novalis jedoch (eigentlich Friedrich von Hardenberg) kann nicht nur wegen seines Lebenslaufes als der Romantiker par excellence angesehen werden. Seine Hymnen an die Nacht (1797) sind reinster Ausdruck der romantischen Sehnsucht nach einer höheren Welt: nach der Ewigkeit. Die Nacht, als Gegenstück zum klaren, nüchternen, geschäftigen Tag, wird in der Romantik zum Sinnbild für das Mysteriöse und Rauschhafte, für den Tod als Aufhebung aller Grenzen. Ein anderes Symbol für dieses Streben nach Harmonie zwischen Vergangenheit und Gegenwart, Endlichem und Unendlichem ist die Blaue Blume, jenes mythische Objekt der Sehnsucht, auf dessen Suche der Titelheld in Novalis' Roman Heinrich von Ofterdingen (1802), stellvertretend für den romantischen Künstler, sich befindet. Die Unerreichbarkeit der Blauen Blume, die reale Unerfüllbarkeit der Sehnsucht und das damit verbundene ewige Streben bestimmen das romantische Denken und Fühlen, dessen Ziel nicht konkrete Veränderung, sondern Eingehen in das All-Eine des Kosmos ist.

Diesem Selbstverständnis entspricht die Form der literarischen Werke, die keine Geschlossenheit und Vollkommenheit wollen: sie sind offen, bruchstückhaft, uneinheitlich. Vorbilder sind, neben Goethe mit seinem Wilhelm Meister, Shakespeare und Cervantes, weil in ihrer Dichtung ein organischer, chaotischer Kosmos enthalten ist, der als Verwirklichung der Einheit von Literatur und Leben verstanden wurde. Nicht nur Novalis' Roman blieb Fragment; das Unabgeschlossene, Sprunghafte gehörte zum Programm. Eine lose, völlig freie Aneinanderreihung von Briefen, Reflexionen, Märchen und Allegorien bildet z. B. Friedrich Schlegels Roman Lucinde (1799), der bei seinem Erscheinen für einen handfesten Skandal sorgte, da er sich über die moralischen Vorstellungen seiner Zeit kühn hinwegsetzte.

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