Literaturepoche Vormärz

Von Dr. Axel Sanjosé

Im Gegensatz zur nachträglichen, eher auf reine Zeitgenossenschaft und ein vages Kriterium des Rückzugs ins Private gestützten Bezeichnung Biedermeier läßt sich der literarische Vormärz als Sammelbegriff für die mit deutlich politischer Intention schreibenden Literaten etwa zwischen 1830 und 1850 in Analogie zum historischen Terminus plausibel legitimieren. Eine zentrale Rolle spielten hierbei die unter dem Schlagwort Junges Deutschland zusammengefaßten Autoren, deren Kontakt zueinander zwar relativ lose war, die aber durch das Verbot ihrer Schriften (1834 in Österreich, 1835 in Preußen) eine faktische Zusammengehörigkeit erfuhren. Sie entsprach der Gemeinsamkeit ihrer Ideen, nämlich Ablehnung des absolutistischen Staates und der dogmatischen Kirche, Überwindung moralischer Konventionen, Eintreten für Meinungsfreiheit, Demokratie, soziale Gerechtigkeit und Emanzipation der Frau.

Die bedeutendste Figur in diesem Kontext ist Heinrich Heine, der zwar nur bedingt dem Jungen Deutschland zugeordnet werden kann, dessen führende Rolle jedoch durch die Konsequenz seiner Haltung, die Originalität seiner Gedanken und den ästhetischen Rang seiner Werke begründet ist. Heines Auseinandersetzung mit der Romantik fand ihren Niederschlag in dem Buch Die romantische Schule (1836), das zugleich zu einer der wichtigsten theoretischen Schriften des Jungen Deutschland wurde, da es in ihr nicht um Literaturgeschichte ging, sondern um eine Abrechnung mit den reaktionären Tendenzen der (Spät-)Romantiker. Andererseits kann Heine selbst durchaus als der letzte Romantiker angesehen werden: seine volksliedhafte Lyrik, seine Ironie, aber auch der im Spätwerk vorhandene Pessimismus (Romanzero, 1855), der die Ablehnung einer kleinbürgerlichen, auf das Materielle fixierten Realität ausdrückte, sind in einem sehr ursprünglichen Sinne romantisch.

Modern hingegen ist seine Prosa, die er vor allem in seinen Reisebildern (1826–1831) entwickelte: mit feuilletonistischem Gestus und einem pointierten, polemischen Stil entlarvte er die Mißstände der Restauration in Deutschland und wurde dadurch zu einem gefürchteten Kritiker des politischen status quo. In seinem Versepos Deutschland. Ein Wintermärchen (1844) geißelte er mit scharfer Satire den preußischen Militarismus und das kleinbürgerliche Obrigkeitsdenken, in Atta Troll. Ein Sommernachtstraum (1843/47) verschonte er auch nicht die dichterischen Schwächen und den politischen Dilettantismus in der Tendenzlyrik vieler seiner Zeitgenossen.

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