Literaturepoche Vormärz (Seite 3)

Im Zusammenhang mit dem Jungen Deutschland, wenn auch zeitlich etwa ein Jahrzehnt später hervorgetreten, sind zwei weitere Lyriker zu sehen: Ferdinand Freiligrath und August Heinrich Hoffmann von Fallersleben. Ihr politisches Engagement trug phrasenhaft-pathetische Züge, schwächte sich mit der Zeit ab und bekam gefährlich nationalistische Töne, vor allem bei Freiligrath, der noch zusammen mit Karl Marx die Neue rheinische Zeitung herausgegeben hatte und später die Tapferkeit der Deutschen im Krieg gegen Frankreich besang. Hoffmann von Fallersleben, der für den späteren Mißbrauch seines Lieds der Deutschen nicht verantwortlich gemacht werden kann, ist nicht nur durch dieses Gedicht zum Verfasser der noch heute nach absoluten Maßstäben bekanntesten deutschsprachigen Texte geworden, zu denen Alle Vögel sind schon da, Ein Männlein steht im Walde und Kuckuck, Kuckuck, ruft’s aus dem Wald gehören.

Ein Autor wurde noch nicht genannt, und zwar der wichtigste. Obwohl ihn sein Lebenslauf durchaus als Jungdeutschen ausweisen könnte (Flucht aus dem Großherzogtum Hessen nach Veröffentlichung seiner radikal-sozialistischen Flugschrift Der Hessische Landbote im Jahr 1834, mit der Parole »Friede den Hütten, Krieg den Palästen!«), hatte er keinerlei Verbindung zu dieser Bewegung. Georg Büchner ist eine singuläre Erscheinung in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts. Seine Radikalität war nicht nur auf das Politische beschränkt – Büchner war ebenso radikal in der Auswahl seiner Ausdrucksmittel und in der konsequenten Durchdringung der Lebenswirklichkeit. Seine Werke sind zugleich naturalistisch und symbolistisch, psychoanalytisch und sozialkritisch, und dies auf eine derart moderne Weise, daß es nicht verwundern darf, wenn es gut fünf Jahrzehnte dauerte, bis man seine Bedeutung begriff.

Lenz (Novelle, 1836): die unglaublich präzise Studie einer Psychose, mit dem Sturm-und-Drang-Dichter Jakob Michael Reinhold Lenz als historischem Objekt. Dantons Tod (Drama, 1835): die Perversion der Aufklärung durch Macht, aber ebenso die Perversion der Seele, auch durch Macht. Leonce und Lena (Lustspiel, 1836): Poesie als praktische Sprachphilosophie, schwer verständlich. Woyzeck (dramatisches Fragment, 1835): alles zusammen – die präzise, poetische Darstellung der Zerstörung einer Seele durch die Mechanismen einer pervertierten Gesellschaft.

Georg Büchner hat der deutschen Literatur völlig neue Wege gewiesen, die zunächst allerdings kaum befolgt wurden. Seine illusionslosen Bilder einer nicht nur entgötterten, sondern auch entmenschlichten Welt sind autonome Poesie und soziale Anklage in einem – eine selten geglückte Verbindung, die sich vielleicht erst in der Lyrik Paul Celans wiederfinden läßt. Es ist kein Zufall, daß diesem 1959 die wichtigste literarische Auszeichnung im deutschsprachigen Raum zuerkannt wurde: der Georg-Büchner-Preis.

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