Literaturepoche Zwischen Klassik und Romantik (Seite 5)

Die »gebrechliche Einrichtung der Welt« zeigt sich auch in Kleists größtem Drama, Prinz Friedrich von Homburg (erschienen 1821), in welchem der Titelheld zwar in der Schlacht bei Fehrbellin den Sieg erringt, aber wegen seines befehlwidrigen Handelns zum Tode verurteilt wird. Die letztendliche Begnadigung des Prinzen, nachdem er seine Strafe als gerecht akzeptiert und so das ordnungstiftende Gesetz über die persönliche Freiheit gestellt hat, löst den zugrundeliegenden tragischen Konflikt nur auf der Ebene der politischen Praxis auf. Die Schwierigkeiten Friedrichs, dem die Grenzen von Traum und Wirklichkeit verschwimmen, in der vorgefundenen Welt feste Bezugspunkte zu gewinnen, bleiben unüberwunden.

Die Literaturwissenschaft außerhalb Deutschlands hat das eingangs angesprochene Problem dadurch gelöst, daß die gesamte Dichtung vom Sturm und Drang bis zu Heinrich Heine als Romantik angesehen wird in Analogie zur gängigen Epocheneinteilung der meisten Nationalliteraturen. Das hat zwar einiges für sich, läßt aber doch entscheidende Aspekte der literarischen Entwicklung im deutschsprachigen Raum außer acht. Neuere Ansätze in der deutschen Philologie gehen dazu über, die gesamte, vor allem im Bibliothekswesen bewährte Goethezeit als Epoche der Klassik anzusehen, ohne dabei die gegensätzlichen Strömungen in ein programmatisches Schema zu pressen. Diese Sichtweise wird zweifellos dem Reichtum an ästhetisch hochwertigen Werken und der Vorbildfunktion dieses Zeitraums besser gerecht und weist Hölderlin, Jean Paul und Kleist den Rang zu, den sie ohnehin besitzen: denjenigen echter Klassiker.

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