Literaturepoche Zwischen Klassik und Romantik (Seite 4)

Die Verbindung von Poesie und Religion basiert auf dem Verständnis von Sprache als Bewahrerin tiefer, ursprünglicher Geheimnisse, die sich in der Dichtung offenbaren. Damit eröffnet er die Perspektive auf die europäische Lyrik der Moderne, in der – von Mallarmé über Valéry, Ungaretti, Montale, Jiménez, García Lorca bis hin zu Celan, Eich und Huchel – der Begriff der Sprachmagie eine zentrale Rolle spielt. Hölderlin hat mit seiner heute noch unverändert faszinierenden Lyrik das theoretisch Postulierte in poetische Praxis umgesetzt. Klang und Rhythmus bilden mit den einzelnen Wortbedeutungen und übergreifenden Aussagen eine unauflösliche Einheit, die in einer solchen Dichte und Schönheit nie mehr gestaltet worden ist.

Auch die Welt Heinrich von Kleists ist durch die Abwesenheit des Göttlichen bestimmt, doch ist in seinen Werken – im Gegensatz zu den Hölderlinschen – die Verbindung zum Numinosen völlig gestört. So steht die Ausweglosigkeit als zentrales Thema im Kleistschen Œuvre – was bei Hölderlin Schicksal ist, erscheint bei ihm als Verhängnis. Unentrinnbar, gnadenlos schlägt es zu; in seinen 1810/11 erschienenen Novellen (darunter Das Bettelweib von Locarno, Michael Kohlhaas, Die Marquise von O...) ebenso wie in seinen Bühnenwerken. Das Bild der dem Fatum ausgelieferten, ohnmächtigen Menschen hat Kleist als dramatisches Grundsatz-Konzept im Essay mit dem – sprechenden – Titel Über das Marionettentheater dargestellt.

Die aus der Beschäftigung mit Kant und Fichte hervorgegangene erkenntnistheoretische Position, daß objektive Wahrheit außerhalb des Subjekts nicht gefunden werden könne, drückt sich in der Darstellung einer Wirklichkeit aus, in der die handelnden Personen keinen Sinn mehr finden und durch ihre Taten immer tiefer in Schuld und Leid verstrickt werden. Selbst Kleists Lustspiele Amphitryon (1807) und Der zerbrochene Krug (1811), in denen die erläuterte Problematik durch das Motiv der Täuschung besonders deutlich wird, vermögen die grundsätzliche Tragik menschlichen Tuns nicht aufzuheben.

Ein weitereres Thema durchzieht das Kleistsche Werk: die als Urgewalt der Seele empfundene Liebe, die jedoch von ihrem Widerpart, dem Haß, bedroht ist und oft mit ihm eng verbunden erscheint, wenn nicht gar letzterer, wie in Michael Kohlhaas oder im frühen Trauerspiel Die Familie Schroffenstein (1803) – einer Wiederaufnahme des Romeo-und-Julia-Stoffes –, völlig überhand nimmt. Kann die Macht der Liebe im Schauspiel Das Käthchen von Heilbronn oder Die Feuerprobe (1808) alle Hindernisse überwinden, so begegnet dem Zuschauer, fast wie eine Vorwegnahme der Dramen Strindbergs, in Penthesilea (1808) die Haßliebe der Amazonenkönigin zu Achill, die schließlich zum Tod der beiden führt.

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