Ausführliche Biographie Wolfgang Borchert (1921 – 1947) (Seite 5)

„Nie war etwas so weiß wie dieser Schnee“
Leben zwischen Krieg und Gefängnis

Bis zum 6. Juni 1941 – das halbe Jahr nach bestandener Schauspielprüfung – hat er ein Engagement bei der Landesbühne Osthannover in Lüneburg. Dann erhält Wolfgang Borchert den Einberufungsbefehl: erst als Panzergrenadier bei der 3. Panzer-Nachrichten-Ersatz- Abteilung 81 in Weimar-Lützendorf, wo er als Funker ausgebildet wird; im November geht es an die Front und zum Fronteinsatz bei Kalinin, nördlich von Moskau.

„Nach einer kurzen wunderbaren Theaterzeit bin ich nun auch Soldat geworden. Es ist laut in Europa, aber nicht von Schillers großem Pathos, sondern vom Lärm der Massen ... im Augenblick tötet die brutal aufgezwungene Welt des Zwanges und der Uniform-Einheit alles Schöne, alle Kunst in mir ...“

Zum ersten Mal erlebt er den russischen Winter – zwischen 30 und 50 Grad unter Null. Am 16. November 1941 begann in Klin-Kalinin die zweite Generaloffensive gegen Moskau. In diesem vor der Zeit hereingebrochenen Winter spielt der Schnee eine Hauptrolle: dichter Schneefall – Schneestürme – und klare unerträglich schneehelle Tage, in denen man die unglaubliche Weite der weißen russischen Schneelandschaft ertragen muss. Und den Krieg, der jeden Sinn ad absurdum führt. Diese Absurdität bringt Borchert in seinen meisterhaften Kurzgeschichten, die er ja er in seiner eigentlichen kurzen Schaffensperiode erst nach Kriegsende schreibt, auf den Punkt – vor dem Hintergrund des allgegenwärtigen Schnees.

„Noch nie war etwas so weiß wie dieser Schnee. Er war beinahe blau davon. Blaugrün. So fürchterlich weiß. Die Sonne wagte kaum gelb zu sein vor diesem Schnee. Kein Sonntagmorgen war jemals so sauber gewesen wie dieser. ...

Aber irgendwo gab es dann doch einen Fleck. Das war ein Mensch, der im Schnee lag, verkrümmt, bäuchlings, uniformiert. Ein Bündel Lumpen. Ein lumpiges Bündel von Häutchen und Knöchelchen und Leder und Stoff. Schwarzrot überrieselt von angetrocknetem Blut. Sehr tote Haare, perückenartig tot. Verkrümmt, den letzten Schrei in den Schnee geschrien, gebellt oder gebetet vielleicht: Ein Soldat.“ (Mein bleicher Bruder)

So erlebt Borchert die Sinnlosigkeit dieses Krieges im Winterhalbjahr 1941/42. Doch dann wird er verwundet: eine Schussverletzung an der linken Hand während des Postengangs. Diese Verwundung kommt auf eher befremdliche Weise zustande. Ein russischer Soldat sei plötzlich aufgetaucht, hätte ihn, Borchert, bedroht – sie hätten gerungen, dabei hätte sich ein Schuss aus Borcherts eigenem Gewehr gelöst und ihn an der linken Hand getroffen.

Ein Vorgesetzter, der Borchert nicht gut gesonnen ist, denunziert ihn: Er gibt zu Protokoll, dass Borchert sich selbst verletzt habe, um vom Kriegsschauplatz wegzukommen.

Borchert kommt zunächst in ein Lazarett; als sich eine Diphtherie dazugesellt, verlegt man ihn ins Heimatlazarett nach Schwalbach. Noch in der Rekonvaleszenz wird er im Mai 1942 verhaftet unter dem Verdacht, „sich willentlich dienstuntauglich gemacht zu haben“. Er kommt ins Untersuchungsgefängnis Nürnberg, wo er drei Monate in der Einzelzelle sitzt.

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