Interpretation "Todesfuge" von Paul Celan (Seite 2)

Von der Gestaltung her bedient sich Celan dabei der Form der Fuge, einem aus der Musik bekannten Kompositionsprinzip, das kontrapunktisch aus Thema und Gegenthema, aus verschiedenen Durch- und Weiterführungen besteht. Celan überführt dieses Schema in Wort-Klang-Bildfolgen: Die in der ersten Strophe gegenübergestellten Bilder (Opfer und Täter) werden in den folgenden Strophen variiert, um dann am Ende wieder zusammengefügt zu werden. Die keinem bestimmten Rhythmus folgenden Langzeilen verzichten auf sämtliche Satzzeichen. Der einzig vorhandene Reim "sein Auge ist blau/er trifft dich genau" gleicht in seiner Wirkung einem präzisen Todesschuss.

Mit ihren vielfältigen Bezügen aus den Bereichen Musik, Literatur (Fausts Gretchen = Margarethe) und Religion (Jungfrau Sulamith aus dem Hohen Lied) durchschreitet die "Todesfuge" die traditionellen Kunstformen und fügt scheinbar unvereinbare Gegensätze zusammen: den romantischen Briefeschreiber mit dem skrupellosen Täter, Sentimentalität und Grausamkeit. So vermeidet sie jegliche Eindimensionalität und wird stattdessen zum poetischen Gleichnis für ein fast unsagbares Leid.

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