Ungekürztes Werk "Joseph" von Annette von Droste-Hülshoff (Seite 9)

halb, und es schien mir alles wie nichts nach dem, was geschehen.

Das Gesinde mußte wohl wissen, wie mir zu Mute war; denn wenn ich einmal zufällig mein Zimmer verließ, sah ich sie ziemlich offen silberne Bestecke, Becher und dergleichen auf ihre Kammern tragen. Ich sah es und sah es auch nicht; hätte ich nachher darüber aussagen sollen, ich hätte die Täter nicht zu nennen gewußt.

Es war mir, als müßte ich ersticken, wenn der Weihrauchdampf bis oben ins Haus zog. Ich hörte unter unseren Fenstern die Trauermusik, sah die Fackeln widerscheinen und verkroch mich hinters Bett mit dem glühendsten Wunsch, zu sterben.

Dann zog man mir schwarze Kleider an, und mein Vormund, der Bankier van Gehlen, holte mich vorläufig in sein Haus.

Madame Dubois mußte zurückbleiben. Unser Abschied war sehr schmerzlich, und es vergingen mir fast die Sinne, als diese Frau, der ich so lange gehorcht hatte, auf den Knieen zu mir hin rutschte, meine Hand küßte und rief: »Stanzchen, Stanzchen, vergib mir! Ich bin an allem schuld! O Gott ich bin eine alte Törin gewesen!«

Es war mir, als sollte ich ihr um den Hals fallen, aber ich blieb steif stehen mit vor Scham geschlossenen ­Augen, und als ich sie aufmachte, war Madame fort, und statt ihrer hielt Herr van Gehlen mich bei der Hand.

Unsere Vermögensumstände stellten sich dann, wie Sie wohl erwartet haben, sehr traurig heraus. Mein Vater hatte eine Staatsanleihe übernommen und sich sehr um dies Geschäft beworben, da wir keineswegs zu den ersten Häusern in Gent gehörten. Ob schon Gelder eingegangen und versendet waren, weiß ich nicht, aber sechshunderttausend Gulden waren aus der Kasse verschwunden. Das war gerade unser eigenes Vermögen, den Brautschatz meiner Schwester, den sie im Geschäft gelassen hatte, eingerechnet; so blieb mir nicht das Salz auf dem Brote.

In van Gehlens Hause wollte man gütig gegen mich sein; aber es war doch nichts wie Glanz und Pracht. Man ließ mir Freiheit auf meinem Zimmer, aber das Lachen, Klavierspielen und Wagenrollen schallte von unten herauf, und wenn ich mich sehen ließ, gab es eine plötzliche Stille, wie wenn ein Gespenst erschien, und aller Augen waren auf mich gerichtet, als gäbe es außer mir keine verarmte Waise in Gent.

Mevrouw van Gehlen tat zwar ihr möglichstes, mir über solche Augenblicke weg zu helfen; aber selbst ihr Bestreben tat mir weh und ließ es mich erst recht fühlen, wie viel hier zu verbergen war.

Täglich hoffte ich auf die Ankunft meiner Stiefschwester; sie kam nicht, auch mein Schwager nicht, sondern nur ihr Geschäftsmann, Herr Pell, der mich so quer ansah, als hätte ich seinen Patron bestohlen, – schon gleich anfangs und noch schlimmer, nachdem er sich einige Stunden mit Mynheer van Gehlen eingeschlossen.

Dennoch hatte er den Auftrag, mich mitzubringen, wenn sich nämlich kein anderes Unterkommen fände.

Ich stand bei dieser Verhandlung zitternd wie Espenlaub und nahm jeden lieblosen Ausdruck des kleinen, hageren Mannes für direkt aus dem Munde meiner Schwester; woran ich doch gewiß sehr unrecht hatte. Denn ich bin später, nach meiner Verheiratung, öfters mit ihr zusammen gewesen in ihrem Hause und auch

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