Ungekürztes Werk "Libertas und ihre Freier" von Joseph von Eichendorff (Seite 5)

das andere anmutsvoll in die Luft, während eine jede die rechte Hand auf ihr Herz legte, mit der linken aber das langschweifige Weihopfer hoch in die Höhe hob und alle lieblich dazu sangen:

»Wir bringen dir der Treue Zopf

Von eigner Locken Seide,

Lang trag' ihn dein erhabner Kopf

Zu deines Landes Freude,

Kopf, Zopf und Lockenseide!«

Es war wirklich ein ungeheurer Zopf, den sie eiligst aus ihren eigenen Locken zusammengewunden hatten. Der gerührte Pinkus riß sich sofort den Haarbeutel vom Haupt, verehrte ihn unter angemessenen Worten den Jungfrauen, um ihn als teures Andenken in dem Prüfungssaale ihrer Pensionsanstalt aufzuhängen, und ließ sich dann den patriotischen Zopf am Genick befestigen, was sich sehr feierlich ausnahm, denn er schleppte ihn hinten etwas nach, so daß ihm jeder drei Schritt vom Leibe bleiben mußte, um nicht unversehens darauf zu treten. Jetzt aber begann der Zug durch den Garten. Voran schritten, wie eine Schar schneeweißer Gänse, die glücklichen Jungfrauen mit dem Haarbeutel auf samtnem Kissen, ihnen folgte der Haushofmeister, an dessen Allongeperücke in der feuchten Abendluft die Locken aufgegangen waren und wie ein Fürstenmantel fast bis an die Fersen herabfielen, endlich kam Pinkus selbst, dem der Kammerdiener den Zipfel des Opferzopfes ehrerbietig nachtrug. Auch der Ziergarten, der seit Libertas gebunden war, hatte unterdes seine vorige würdige Haltung wiedergewonnen, und wo Pinkus vorüberschritt, präsentierte der marmorne Herkules mit seiner Keule, der geigende Apollo salutierte mit dem Fiedelbogen, und die Tritonen in den steinernen Becken bliesen auf ihren Muscheln aus Leibeskräften: »Heil dir im Siegerkranz!«

Die Geschichte machte damals großes Aufsehn in Deutschland. Die Schwalbe schoß ängstlich hin und her und schwatzte und schrie von allen Dächern und Zäunen: »Weh, weh, Frau Libertas ist gefangen!« Die Lerche stieg sogleich wieder kerzengerade in die Höh' und meldete es dem Adler, die Nachtigall schluchzte und konnt' sich gar nicht erholen, selbst der Uhu seufzte einigemal tief auf; die Rohrdommel aber trommelte sofort Alarm, und der Storch marschierte im Paradeschritt durch alle Wiesen und Felder und klapperte unablässig zum Appell. Bald wurde es auch weiter im Walde lebendig; der Hase duckte sich im Kohl und mochte von der ganzen Sache nichts wissen, der Fuchs wollte erst abwarten, welche Wendung sie nehmen würde; der biedere Bär dagegen ging schnaubend um und wurde immer brummiger, und die Hirsche rannten verzweiflungsvoll mit ihren Geweihen gegen die dicksten Eichen oder fochten krachend miteinander, um sich in den Waffen zu üben.

Da kam zur selben Stunde der Doktor Magog dahergewandert, der seinen Verleger nicht finden konnte und daher soeben in großer Verlegenheit war. Der hörte mit Verwunderung das ungewöhnliche Geschrei der Vögel; durch einen entflogenen Star, der reden gelernt, erfuhr er alles, was geschehen, und wollte aus der Haut fahren über diese Nachricht. »Ha!« rief er, und dabei fuhr ihm wirklich der Ellbogen aus dem Ärmel. Aber sein Entschluß war sogleich gefaßt: Er wandte sich eiligst seitwärts nach dem Wald hin. Da erblickte ihn ein Köhler von fern und rief ihm zu, wohin er ginge? »Zum Urwald«, erwiderte Magog. »Seid Ihr toll?« schrie der Köhler wieder herüber,

»Kehrt um auf der Stelle,

Dort

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