Ungekürztes Werk "Soll und Haben" von Gustav Freytag (Seite 559)

damals riefen Sie mir zu, ich sollte Kraft gewinnen auch Ihnen gegenüber. Und jeden Tag fühle ich, daß ich Ihnen gegenüber keine Kraft habe, keine Überzeugung und keinen Willen. Was Sie sagen, erscheint mir wahr, und ich vergesse, was ich selbst anders gedacht; was Sie von mir fordern, das muß ich tun, widerstandslos, wie eine Sklavin. Die Frau, welche neben Ihnen durch das Leben geht, soll Ihnen ebenbürtig sein an Geist und Kraft, und sicher soll sie sich fühlen in dem eigenen Kreise. Ich bin ein ungebildetes, hilfloses Mädchen. In törichter Leidenschaft habe ich Ihnen verraten, daß ich um Ihretwillen wagen kann, was ein Weib nie wagen sollte. Sie finden in mir nichts, was Sie ehren können. Sie werden mich küssen und – werden mich ertragen.« – Lenores Hand ballte sich und ihre Augen flammten. So stand sie vor ihm und ihre Gestalt erbebte in dem Kampf von Stolz und Liebe.

»Reut Sie so sehr, daß Sie für mich eine Kugel in die Schulter des Mordgesellen sandten?« frug Fink finster. »Was ich sehe, sieht nicht aus wie Liebe, eher wie Haß.«

»Ich Sie hassen!« rief das Mädchen und schlug die Hände vor das Gesicht.

Er nahm ihr die Hände vom Antlitz, zog sie an sich und drückte einen Kuß auf ihre Lippen. »Vertraue mir, Lenore.«

»Laß mich, laß mich«, rief Lenore sich sträubend, aber ihr Mund hing wieder heiß an dem seinen, sie umschlang ihn fest und zu ihm aufsehend mit einem leidenschaftlichen Ausdruck von Liebe und Furcht, glitt sie zu seinen Füßen nieder.

Erschüttert beugte sich Fink herab und hob sie auf: »Mein bist du, und ich halte dich fest«, rief er. »Mit Büchse und Blei habe ich dich erbeutet, du stürmisches Herz! – In einem Atem sagst du mir Liebevolles und Hartes. – Alle Wetter, bin ich denn ein solcher Sklavenvogt, daß ein braves Weib fürchten muß, unter mein Joch zu kommen? So wie du bist, Lenore, entschlossen, kühn, ein kleiner Teufel von Leidenschaft, gerade so will ich dich haben und nicht anders. Wir sind Waffenbrüder gewesen und wir werden es in diesem Lande bleiben. Der Tag kann wiederkommen, wo wir beide in unserm Hause den Kolben an die Wange legen, und das Volk um uns verlangt einen Sinn, der eher einen Schlag gibt, als einen erträgt. Und wärest du niemals die Sehnsucht meines Herzens gewesen, und wärest du ein Mann, ich würde dich für mein Leben zu gewinnen suchen als meinen Genossen. Denn, Lenore, du wirst mir nicht nur ein geliebtes Weib sein, auch ein mutiger Freund, der Vertraute meiner Taten, mein treuester Kamerad.«

Lenore schüttelte den Kopf, aber sie hielt ihn fest umklammert: »Ich soll deine Hausfrau werden«, klagte sie. Fink strich ihr liebkosend über das Haar und küßte die glühende Stirn. »Gib dich zufrieden, mein Herz«, sagte er zärtlich, »und finde dich drein. Wir haben miteinander in einem Feuer gesessen, das stark genug war, um ein großes Gefühl zur Reife zu bringen. Und wir kennen eines das andere. Unter uns gesagt, wir werden manchmal einen Wirbelwind in unserm Hause haben. Ich

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