Ungekürztes Werk "Der Scheich von Alexandria und seine Sklaven" von Wilhelm Hauff (Seite 2)

der reiche Mann ist ein armer Mann. Er, der viel hat, ist ärmer, als der, der nichts hat; denn der Prophet hat ihm den Verstand nicht gegeben, es zu genießen.« So sprachen die Leute, lachten über ihn und gingen weiter.

Eines Abends, als der Scheich wiederum vor der Tür seines Hauses unter den Palmen saß, umgeben von allem Glanz der Erde, und traurig und einsam seine Wasserpfeife rauchte, standen nicht ferne davon einige junge Leute, betrachteten ihn und lachten. »Wahrlich«, sprach der eine, »das ist ein törichter Mann, der Scheich Ali Banu. Hätte ich seine Schätze, ich wollte sie anders anwenden. Alle Tage wollte ich leben herrlich und in Freuden; meine Freunde müßten bei mir speisen in den großen Gemächern des Hauses, und Jubel und Lachen müßten diese traurigen Hallen füllen.«

»Ja«, erwiderte ein anderer, »das wäre nicht übel; aber viele Freunde zehren ein Gut auf, und wäre es so groß als das des Sultans, den der Prophet segne. Aber säße ich abends so unter den Palmen auf dem schönen Platze hier, da müßten mir die Sklaven dort singen und musizieren, meine Tänzer müßten kommen und tanzen und springen und allerlei wunderliche Stücke aufführen. Dazu rauchte ich recht vornehm die Wasserpfeife, ließe mir den köstlichen Sorbett reichen und ergötzte mich an all diesem wie ein König von Bagdad.«

»Der Scheich«, sprach ein dritter dieser jungen Leute, der ein Schreiber war, »der Scheich soll ein gelehrter und weiser Mann sein; und wirklich, seine Vorlesungen über den Koran zeugen von Belesenheit in allen Dichtern und Schriften der Weisheit. Aber ist auch sein Leben so eingerichtet, wie es einem vernünftigen Mann geziemt? Dort steht ein Sklave mit einem ganzen Arm voll Rollen; ich gäbe mein Festkleid dafür, nur eine davon lesen zu dürfen, denn es sind gewiß seltene Sachen. Aber er? Er sitzt und raucht und läßt Bücher Bücher sein. Wäre ich der Scheich Ali Banu, der Kerl müßte mir vorlesen, bis er keinen Atem mehr hätte oder bis die Nacht heraufkäme. Und auch dann noch müßte er mir lesen, bis ich entschlummert wäre.«

»Ha, ihr wißt mir recht, wie man sich ein köstliches Leben einrichtet«, lachte der vierte. »Essen und trinken, singen und tanzen; Sprüche lesen und Gedichte hören von armseligen Dichtern! Nein, ich würde es ganz anders machen. Er hat die herrlichsten Pferde und Kamele und Geld die Menge. Da würde ich an seiner Stelle reisen, reisen bis an der Welt Ende, und selbst zu den Moskowitern, selbst zu den Franken. Kein Weg wäre mir zu weit, um die Herrlichkeiten der Welt zu sehen. So würde ich tun, wäre ich jener Mann dort.«

»Die Jugend ist eine schöne Zeit und das Alter, wo man fröhlich ist«, sprach ein alter Mann von unscheinbarem Aussehen, der neben ihnen stand und ihre Reden gehört hatte. »Aber erlaubt mir, daß ich es sage: Die Jugend ist auch töricht und schwatzt hie und da in den Tag hinein, ohne zu wissen, was sie tut.«

»Was wollt Ihr damit sagen, Alter?« fragten verwundert die jungen Leute. »Meint Ihr uns damit? Was geht es

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