Ungekürztes Werk "Deutschland. Ein Wintermärchen" von Heinrich Heine (Seite 2)

Vorrede

Das nachstehende Gedicht schrieb ich im diesjährigen Monat Januar zu Paris, und die freie Luft des Ortes wehete in manche Strophe weit schärfer hinein, als mir eigentlich lieb war. Ich unterließ nicht, schon gleich zu mildern und aus­zuscheiden, was mit dem deutschen Klima unverträglich schien. Nichts­destoweniger, als ich das Manuskript im Monat März an meinen Ver­leger nach Hamburg schickte, wurden mir noch mannigfache Be­denk­lich­keiten in Erwägung gestellt. Ich mußte mich dem fatalen Geschäfte des Umarbeitens nochmals unterziehen, und da mag es wohl geschehen sein, daß die ernsten Töne mehr als nötig abgedämpft oder von den Schellen des Humors gar zu heiter überklingelt wurden. Einigen nackten Ge­danken habe ich im hastigen Unmut ihre Feigenblätter wieder abgerissen, und zimperlich spröde Ohren habe ich vielleicht verletzt. Es ist mir leid, aber ich tröste mich mit dem Bewußtsein, daß größere Autoren sich ähnliche Ver­gehen zu Schulden kommen ließen. Des Aristophanes will ich zu sol­cher Beschönigung gar nicht erwähnen, denn der war ein blinder Heide, und sein Publikum zu Athen hatte zwar eine klassische Erziehung genossen, wußte aber wenig von Sittlichkeit. Auf Cervantes und Molière könnte ich mich schon viel besser berufen; und ersterer schrieb für den hohen Adel beider Kastilien, letzterer für den großen König und den großen Hof von Ver­sailles! Ach, ich vergesse, daß wir in einer sehr bür­ger­lichen Zeit leben, und ich sehe leider voraus, daß viele Töch­ter gebil­deter Stände an der Spree, wo nicht gar an der Alster, über mein armes Gedicht die mehr oder minder ge­bogenen Näschen rümpfen werden! Was ich aber mit noch grö­ßerem Leidwesen voraussehe, das ist das Zeter je­ner Pha­risäer der Nationalität, die jetzt mit den Antipathien der Regierun­gen Hand in Hand gehen, auch die volle Liebe und Hochachtung der Zen­sur genießen und in der Tages­presse den Ton angeben können, wo es gilt, jene Gegner zu be­feh­den, die auch zugleich die Gegner ihrer allerhöchsten Herr­schaften sind. Wir sind im Herzen gewappnet gegen das Miß­fallen dieser heldenmütigen Lakaien in schwarz-rot-gold­ner Livree. Ich höre schon ihre Bierstimmen: du läst­erst sogar unsere Farben, Ver­ächter des Vaterlands, Freund der Franzosen, denen du den freien Rhein abtreten willst! Be­ruhigt Euch. Ich werde Eure Farben achten und ehren, wenn sie es verdienen, wenn sie nicht mehr eine müßige oder knech­tische Spielerei sind. Pflanzt die schwarz-rot-goldne Fah­ne auf die Höhe des deutschen Gedankens, macht sie zur Stan­darte des freien Menschtums, und ich will mein bestes Herz­blut für sie hingeben. Beruhigt Euch, ich liebe das Vater­land ebenso sehr, wie Ihr. Wegen dieser Liebe habe ich dreizehn Lebensjahre im Exile verlebt, und wegen eben dieser Liebe kehre ich wieder zurück ins Exil, vielleicht für immer, jedenfalls ohne zu flennen oder eine schief­mäu­lige Duldergrimasse zu schneiden. Ich bin der Freund der Franzosen, wie ich der Freund aller Menschen bin, wenn sie vernünftig und gut sind, und weil ich selber nicht so dumm oder so schlecht bin, als daß ich wünschen sollte, daß meine Deutschen und die Franzosen, die beiden auserwählten Völ­ker der Humanität, sich die Hälse brächen zum Besten von England und Rußland und zur Schadenfreude aller Junker und Pfaffen dieses Erdballs. Seid ruhig, ich werde den Rhein nimmermehr den Franzosen abtreten, schon aus dem ganz ein­fachen Grunde: weil mir der Rhein gehört. Ja, mir ge­hört er, durch unveräußer­liches Geburtsrecht, ich bin des freien Rheins noch weit freierer Sohn, an seinem Ufer stand mei­ne Wiege, und ich sehe gar nicht ein, warum der Rhein irgend­einem Andern gehören soll als den Landeskindern. El­saß und Lothringen kann ich freilich dem deutschen Rei­che nicht so leicht einverleiben, wie Ihr es tut, denn die Leu­te in jenen Landen hängen fest an Frankreich wegen der Rech­te, die sie durch die französische Staats­umwälzung ge­wonnen, wegen jener Gleichheitsgesetze und freien In­sti­tu­tionen, die dem bürgerlichen Gemüte sehr angenehm sind, aber dem Ma­gen der großen Menge dennoch Vieles zu wün­schen übrig lassen. Indes­sen, die Elsasser und Loth­rin­ger werden sich wieder an Deutschland an­schließen, wenn wir das vollenden, was die Franzosen begonnen haben, wenn wir diese überflügeln in der Tat, wie wir es schon ge­tan im Gedan­ken, wenn wir uns bis zu den letzten Fol­ge­rungen desselben empor­schwingen, wenn wir die Dienst­bar­keit bis in ihrem letzten Schlupfwin­kel, dem Himmel, zer­stören, wenn wir den Gott, der auf Erden im Men­schen wohnt, aus seiner Erniedrigung retten, wenn wir die Erlöser Got­tes werden, wenn wir das arme, glückenterbte Volk und den verhöhnten Ge­nius und die geschändete Schönheit wieder in ihre Würde einsetzen, wie unsere großen Meister gesagt und gesungen, und wie wir es wollen, wir, die Jünger – ja, nicht bloß Elsaß und Lothringen, sondern ganz Frankreich wird uns alsdann zufallen, ganz Europa, die ganze Welt – die ganze Welt wird deutsch werden! Von dieser Sendung und Uni­versalherrschaft Deutschlands träume ich oft, wenn ich unter Eichen wandle. Das ist mein Patriotismus.

Ich werde in einem nächsten Buche auf dieses Thema zu­rück­kommen, mit letzter Entschlossenheit, mit strenger Rück­sichtslosigkeit, jedenfalls mit Loyalität. Den ent­schie­densten Widerspruch werde ich zu achten wissen, wenn er aus einer Überzeugung hervorgeht. Selbst der rohesten Feind­seligkeit will ich alsdann geduldig verzeihen; ich will sogar der Dumm­heit Rede stehen, wenn sie nur ehrlich ge­meint ist. Meine ganze schwei­gende Verachtung widme ich hin­gegen dem gesinnungslosen Wichte, der aus leidiger Scheel­sucht oder unsauberer Privatgiftigkeit meinen guten Leu­mund in der öffentlichen Meinung herabzuwürdigen sucht, und dabei die Maske des Patriotismus, wo nicht gar die der Reli­gion und der Moral, benutzt. Der anarchische Zustand der deutschen po­litischen und literari­schen Zeitungs­blät­ter­welt ward in solcher Beziehung zuweilen mit einem Talente ausgebeutet, das ich schier bewundern mußte. Wahr­haftig, Schufterle ist nicht tot, er lebt noch immer und steht seit Jah­ren an der Spitze einer wohl­or­ga­ni­sier­ten Bande von literarischen Strauchdieben, die in den böhmischen Wäldern unserer Tagespresse ihr Wesen treiben, hin­ter jedem Busch, hinter jedem Blatt versteckt liegen und dem leisesten Pfiff ihres würdigen Hauptmanns ge­hor­chen.

Noch ein Wort. Das Wintermärchen bildet den Schluß der »Neuen Ge­dichte«, die in diesem Augenblick bei Hoffmann und Campe erscheinen. Um den Einzeldruck veranstalten zu kön­nen, mußte mein Verleger das Gedicht den überwachenden Be­hörden zu besonderer Sorgfalt überliefern, und neue Va­rian­ten und Ausmerzungen sind das Ergebnis dieser höheren Kri­tik. –

Hamburg, den 17. September 1844.

Heinrich Heine

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