Ungekürztes Werk "Das Schloß" von Franz Kafka (Seite 4)

will man auch etwas heimbringen.”

“In dieser Hinsicht muß sich der Herr keine Sorge machen, über schlechte Bezahlung hört man keine Klage.” – “Nun”, sagte K., “ich gehöre ja nicht zu den Schüchternen und kann auch einem Grafen meine Meinung sagen, aber in Frieden mit den Herren fertig zu werden ist natürlich weit besser.”

Der Wirt saß K. gegenüber am Rand der Fensterbank, bequemer wagte er sich nicht zu setzen, und sah K. die ganze Zeit über mit großen, braunen, ängstlichen Augen an. Zuerst hatte er sich an K. herangedrängt, und nun schien es, als wolle er am liebsten weglaufen. Fürchtete er, über den Grafen ausgefragt zu werden? Fürchtete er die Unzuverlässigkeit des “Herrn”, für den er K. hielt? K. mußte ihn ablenken. Er blickte auf die Uhr und sagte: “Nun werden bald meine Gehilfen kommen, wirst du sie hier unterbringen können?”

“Gewiß, Herr”, sagte er, “werden sie aber nicht mit dir im Schlosse wohnen?”

Verzichtete er so leicht und gern auf die Gäste und auf K. besonders, den er unbedingt ins Schloß verwies?

“Das ist noch nicht sicher”, sagte K., “erst muß ich erfahren, was für eine Arbeit man für mich hat. Sollte ich zum Beispiel hier unten arbeiten, dann wird es auch vernünftiger sein, hier unten zu wohnen. Auch fürchte ich, daß mir das Leben oben im Schlosse nicht zusagen würde. Ich will immer frei sein.”

“Du kennst das Schloß nicht”, sagte der Wirt leise.

“Freilich”, sagte K., “man soll nicht verfrüht urteilen. Vorläufig weiß ich ja vom Schloß nichts weiter, als daß man es dort versteht, sich den richtigen Landvermesser auszusuchen. Vielleicht gibt es dort noch andere Vorzüge.” Und er stand auf, um den unruhig seine Lippen beißenden Wirt von sich zu befreien. Leicht war das Vertrauen dieses Mannes nicht zu gewinnen.

Im Fortgehen fiel K. an der Wand ein dunkles Porträt in einem dunklen Rahmen auf. Schon von seinem Lager aus hatte er es bemerkt, hatte aber in der Entfernung die Einzelheiten nicht unterschieden und geglaubt, das eigentliche Bild sei aus dem Rahmen fortgenommen und nur ein schwarzer Rückendeckel sei zu sehen. Aber es war doch ein Bild, wie sich jetzt zeigte, das Brustbild eines etwa fünfzigjährigen Mannes. Den Kopf hielt er so tief auf die Brust gesenkt, daß man kaum etwas von den Augen sah, entscheidend für die Senkung schien die hohe, lastende Stirn und die starke, hinabgekrümmte Nase. Der Vollbart, infolge der Kopfhaltung am Kinn eingedrückt, stand weiter unten ab. Die linke Hand lag gespreizt in den vollen Haaren, konnte aber den Kopf nicht mehr heben. “Wer ist das?” fragte K. “Der Graf?” K. stand vor dem Bild und blickte sich gar nicht nach dem Wirt um. “Nein”, sagte der Wirt, “der Kastellan.” – “Einen schönen Kastellan haben sie im Schloß, das ist wahr”, sagte K., “schade, daß er einen so mißratenen Sohn hat.” – “Nein”, sagte der Wirt, zog K. ein wenig zu sich herunter und flüsterte ihm ins Ohr: “Schwarzer hat gestern übertrieben, sein Vater ist nur ein Unterkastellan und sogar einer der letzten.” In diesem Augenblick kam der Wirt

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