Ungekürztes Werk "Nathan der Weise" von Gotthold Ephraim Lessing (Seite 52)

Denn auch ihr, auch ihr,

Ihr Handelsleute, könnt des baren Geldes

Zuviel nie haben!

NATHAN. Und warum zuerst

Von dieser Kleinigkeit? – Ich sehe dort

Ein Aug' in Tränen, das zu trocknen, mir

Weit angelegner ist. (Geht auf Recha zu.)

   Du hast geweint?

Was fehlt dir? – bist doch meine Tochter noch?

RECHA. Mein Vater! ...

NATHAN.  Wir verstehen uns. Genug! –

Sei heiter! Sei gefaßt! Wenn sonst dein Herz

Nur dein noch ist! Wenn deinem Herzen sonst

Nur kein Verlust nicht droht! – Dein Vater ist

Dir unverloren!

RECHA.   Keiner, keiner sonst!

TEMPELHERR.

Sonst keiner? – Nun! so hab ich mich betrogen.

Was man nicht zu verlieren fürchtet, hat

Man zu besitzen nie geglaubt, und nie

Gewünscht. – Recht wohl! recht wohl! – Das ändert, Nathan,

Das ändert alles! – Saladin, wir kamen

Auf dein Geheiß. Allein, ich hatte dich

Verleitet; itzt bemüh dich nur nicht weiter!

SALADIN. Wie gach nun wieder, junger Mann! – Soll alles

Dir denn entgegenkommen? Alles dich

Erraten?

TEMPELHERR. Nun du hörst ja! siehst ja, Sultan!

SALADIN.

Ei wahrlich! – Schlimm genug, daß deiner Sache

Du nicht gewisser warst!

TEMPELHERR. So bin ich's nun.

SALADIN. Wer so auf irgendeine Wohltat trotzt,

Nimmt sie zurück. Was du gerettet, ist

Deswegen nicht dein Eigentum. Sonst wär'

Der Räuber, den sein Geiz ins Feuer jagt,

So gut ein Held wie du!

(Auf Recha zugehend, um sie dem Tempelherrn

zuzuführen.) Komm, liebes Mädchen,

Komm! Nimm's mit ihm nicht so genau. Denn wär'

Er anders; wär' er minder warm und stolz:

Er hätt' es bleibenlassen, dich zu retten.

Du mußt ihm eins fürs andre rechnen. – Komm!

Beschäm ihn! tu, was ihm zu tun geziemte!

Bekenn ihm deine Liebe! trage dich ihm an!

Und wenn er dich verschmäht – dir's je vergißt,

Wie ungleich mehr in diesem Schritte du

Für ihn getan, als er für dich ... Was hat

Er denn für dich getan? Ein wenig sich

Beräuchern lassen! ist was Rechts! – so hat

Er meines Bruders, meines Assad, nichts!

So trägt er seine Larve, nicht sein Herz.

Komm, Liebe ...

SITTAH.     Geh! geh, Liebe, geh! Es ist

Für deine Dankbarkeit noch immer wenig;

Noch immer nichts.

NATHAN.   Halt Saladin! halt Sittah!

SALADIN. Auch du?

NATHAN. Hier hat noch einer mitzusprechen ...

SALADIN. Wer leugnet das? – Unstreitig, Nathan, kömmt

So einem Pflegevater eine Stimme

Mit zu! Die erste, wenn du willst. – Du hörst,

Ich weiß der Sache ganze Lage.

NATHAN.   Nicht so ganz! –

Ich rede nicht von mir. Es ist ein andrer;

Weit, weit ein andrer, den ich, Saladin,

Doch auch vorher zu hören bitte.

SALADIN. Wer?

NATHAN. Ihr Bruder!

SALADIN. Rechas Bruder?

NATHAN.  Ja!

RECHA.      Mein Bruder?

So hab ich einen Bruder?

TEMPELHERR (aus seiner wilden, stummen Zerstreuung auffahrend).

Wo? wo ist

Er, dieser Bruder? Noch nicht hier? Ich sollt'

Ihn hier ja treffen.

NATHAN.   Nur Geduld!

TEMPELHERR (äußerst bitter). Er hat

Ihr einen Vater aufgebunden: – wird

Er keinen Bruder für sie finden?

SALADIN. Das

Hat noch gefehlt! Christ! ein so niedriger

Verdacht wär' über Assads Lippen nicht

Gekommen. – Gut! fahr nur so fort!

NATHAN.  Verzeih

Ihm! – Ich verzeih ihm gern. – Wer weiß, was wir

An seiner Stell', in seinem Alter dächten!

(Freundschaftlich auf ihn zugehend.)

Natürlich, Ritter! – Argwohn folgt auf Mißtraun! –

Wenn Ihr mich Eures wahren Namens gleich

Gewürdigt hättet ...

TEMPELHERR.  Wie?

NATHAN.  Ihr seid kein Stauffen!

TEMPELHERR. Wer bin ich denn?

NATHAN.     Heißt Curd von Stauffen nicht!

TEMPELHERR.

Wie heiß ich denn?

NATHAN.  Heißt Leu von Filnek.

TEMPELHERR. Wie?

NATHAN. Ihr stutzt?

TEMPELHERR.   Mit Recht! Wer sagt das?

NATHAN.    Ich; der mehr,

Noch mehr Euch sagen kann.

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