Literaturepoche Zwischen Klassik und Romantik

Von Dr. Axel Sanjosé

Die manchmal geheimnisvollen Wege der Literaturgeschichtsschreibung haben dahin geführt, daß eine entscheidende Periode der deutschen Literatur, die etwa das letzte Viertel des 18. und das erste des 19. Jahrhunderts umfaßt, in zahlreiche Strömungen unterteilt worden ist, die sich teils ablösen, sich teils überlappen, teils sogar parallel verlaufen. Diese differenzierte Betrachtungsweise hat den – paradoxen oder folgerichtigen? – Effekt, daß drei der wichtigsten Autoren dieses Zeitraums ohne Zuordnung zu einer Strömung 'übrig' geblieben sind: Jean Paul, Hölderlin und Kleist. Gelegentlich als Paraklassik oder Gegenklassik etikettiert, werden sie als etwas sperriger Block in den einschlägigen literarischen Handbüchern behandelt, wobei genauso gut Bezeichnungen wie Neben Klassik und Romantik, Weder Klassik noch Romantik oder Sowohl Klassik als auch Romantik zur Kennzeichnung des literaturhistorischen Standortes dienen könnten.

Megalithisch ragen die drei genannten Autoren aus der literarischen Landschaft heraus: nicht einzuordnen und unbequem – am unbequemsten vielleicht jener, der durch sein behäbiges Äußeres eher als gemütlicher fränkischer Dorfpoet einzuschätzen wäre: Johann Paul Friedrich Richter, mit Dichternamen Jean Paul. Diesen wählte er als Zeichen seiner Bewunderung für Jean-Jacques Rousseau, dessen zwiespältiges Verhältnis zur Aufklärung sich auf etwas vertrackte Weise bei Jean Paul wiederfinden läßt. Denn für einen 'echten' Aufklärer war er viel zu empfindsam – die rationalistische Strenge blieb ihm zeitlebens fremd. Für einen Empfindsamen oder gar einen Romantiker war er aber wiederum zu analytisch, zu ironisch und auch zu bescheiden.

Jean Paul konnte satirisch sein bis zur Bösartigkeit und gleichzeitig von tiefer Wärme für alles Menschliche, mit dem er sich ganz und gar verbunden fühlte, so daß seine Uneinordbarkeit geradezu als programmatisch angesehen werden kann. Als Meister der Digression (Abschweifung) hinterließ er eine Reihe von Prosawerken, die manchen heutigen Leser in der Tat eher abschrecken, und zwar nicht nur wegen ihres Umfangs. An keine Norm gebunden, wechseln sich bei Jean Paul Passagen von hoher lyrischer Intensität mit ironisch-satirischen Betrachtungen und naturwissenschaftlich orientierten Ausführungen ab; vor allem aber durchbricht er permanent die Erwartungshaltung des Lesers, der von Einschüben, Unterbrechungen, Nebenepisoden und seltsamen Zwischentiteln dauernd irritiert wird und oft nur mühsam den Gang der spärlichen Handlung verfolgen kann.

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