Ungekürztes Werk "Joseph" von Annette von Droste-Hülshoff (Seite 4)

haben und den Vater im fünfzehnten Jahre verlieren. Von meiner Mutter habe ich nur ihr lebensgroßes Porträt gekannt, das im Speisesaale hing; eine schöne Frau in weißem Atlas, einen Blumenstrauß in der Hand und auf dem Schoß ein allerliebstes Löwenhündchen. Ich weiß nicht, ob es daher kommt, daß es meine Mutter war, aber mich dünkt, ich habe nie ein so schönes Gesicht gesehen und nie so sprechende Augen. Ich mag noch nicht daran denken, wie einfältig ich um das Bild gekommen bin und wie es jetzt vielleicht für nichts geachtet wird. Es war nicht gut, daß mein Vater nicht wieder heiratete; seine Lage hätte es wohl mit sich gebracht; ein Kaufmann, der den ganzen Tag im Comptoir und auf der Börse zubringt und der Handelsverbindungen wegen fast täglich Gäste zu Tische hat, ist ohne Hausfrau ein geschlagener Mann, allen Arten von Veruntreuungen und Verschleuderungen ausgesetzt, die er unmöglich selbst kontrollieren kann, und sogar seine Kommis scheuen sich weniger vor ihm als vor der Madame, die sie aus- und eingehen sieht, ihre Kleidung und ihr Benehmen gegen die Dienstboten beobachtet und überall in der Stadt Dinge gewahr wird, die dem Herrn sein Lebtage nicht zu Ohren kommen.

Indessen war freilich meine Mutter schon des Vaters zweite Frau gewesen. Die erste hatte ihm ein schönes Vermögen eingebracht und eine erwachsene, damals bereits verlobte Tochter, auf deren Hochzeit sie sich bald nachher ihre tödliche Krankheit holte durch dünne Kleidung, – man sagt, weil sie als sogenannte junge Frau nicht gar zu matronenhaft neben der Braut hatte aussehen wollen, was sich denn auch in Rücksicht auf ihren Mann wohl begreift; kurz, sie lag acht Tage nachher völlig kontrakt im Bette und hat so sechs Jahre gelegen, zuletzt so elend, daß ihre besten Freunde ihr nur den Tod wünschen mußten.

Nachdem mein Vater anderthalb Jahre Witwer geblieben, heiratete er ein junges Mädchen von guter Herkunft, aber gänzlich ohne Vermögen. Dies war meine Mutter, und ich mag, gottlob, fragen, wen ich will, ich höre nur Gutes und Liebes von ihr; aber den Keim zur Schwindsucht soll sie schon in die Ehe mitgebracht haben. Man sieht es auch dem Bilde an, das doch gleich nach der Hochzeit gemalt ist.

Ein Jahr lang bis zu meiner Geburt hielt sie sich noch so leidlich, obwohl das unruhige Leben und die Unmöglichkeit, sich zu schonen, ihr Übel soll sehr beschleunigt haben. Ich wollte, sie hätte nicht geheiratet; Gott hätte mich ja doch anderwärts erschaffen können; denn, Mynheer, man kommt doch nie ganz darüber hinweg, seiner Mutter den Tod gebracht zu haben. Man hat mir viel von dem Kummer meines Vaters erzählt und wie er ferner eine Menge Heiratsanträge von der Hand gewiesen. Ich glaube es wohl, denn ich habe nie gesehen, daß er für irgend ein Frauenzimmer das geringste Interesse gezeigt hätte, außer was ihm von der Höflichkeit geradezu auferlegt wurde, und da waren es immer die Mamas und Großmamas, deren Unterhaltung er vorzog; sonst lebte er nur in seinem Geschäfte. Morgens um fünf auf und in seiner Stube gearbeitet, um sechs ins

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