Ungekürztes Werk "Galgenlieder" von Christian Morgenstern (Seite 5)

letzten Strich

tat der Geigerich –

und dann war nichts weiter zu beweisen.

Das Knie

Ein Knie geht einsam durch die Welt.

Es ist ein Knie, sonst nichts!

Es ist kein Baum! Es ist kein Zelt!

Es ist ein Knie, sonst nichts.

Im Kriege ward einmal ein Mann

erschossen um und um.

Das Knie allein blieb unverletzt –

als wärs ein Heiligtum.

Seitdem gehts einsam durch die Welt.

Es ist ein Knie, sonst nichts.

Es ist kein Baum, es ist kein Zelt.

Es ist ein Knie, sonst nichts.

Der Seufzer

Ein Seufzer lief Schlittschuh auf nächtlichem Eis

  und träumte von Liebe und Freude.

Es war an dem Stadtwall, und schneeweiß

  glänzten die Stadtwallgebäude.

Der Seufzer dacht an ein Maidelein

  und blieb erglühend stehen.

Da schmolz die Eisbahn unter ihm ein –

  und er sank – und ward nimmer gesehen.

Bim, Bam, Bum

Ein Glockenton fliegt durch die Nacht,

als hätt er Vogelflügel;

er fliegt in römischer Kirchentracht

wohl über Tal und Hügel.

Er sucht die Glockentönin BIM,

die ihm vorausgeflogen;

d.h., die Sache ist sehr schlimm,

sie hat ihn nämlich betrogen.

»O komm,« so ruft er, »komm, dein BAM

erwartet dich voll Schmerzen.

Komm wieder, BIM, geliebtes Lamm,

dein BAM liebt dich von Herzen!«

Doch BIM, daß ihrs nur alle wißt,

hat sich dem BUM ergeben;

der ist zwar auch ein guter Christ,

allein das ist es eben.

Der BAM fliegt weiter durch die Nacht

wohl über Wald und Lichtung.

Doch, ach, er fliegt umsonst! Das macht,

er fliegt in falscher Richtung.

Das aesthetische Wiesel

Ein Wiesel

saß auf einem Kiesel

inmitten Bachgeriesel.

Wißt ihr,

weshalb?

Das Mondkalb

verriet es mir

im stillen:

Das raffinier-

te Tier

tats um des Reimes willen.

Der Schaukelstuhl

auf der verlassenen Terrasse

Ich bin ein einsamer Schaukelstuhl

und wackel im Winde,

im Winde.

Auf der Terrasse, da ist es kuhl,

und ich wackel im Winde,

  im Winde.

Und ich wackel und nackel den ganzen Tag.

Und es nackelt und rackelt die Linde.

Wer weiß, was sonst wohl noch wackeln mag

im Winde,

im Winde,

  im Winde.

Die Beichte des Wurms

Es lebt in einer Muschel

ein Wurm gar seltner Art;

der hat mir mit Getuschel

sein Herze offenbart.

Sein armes kleines Herze,

hei, wie das flog und schlug!

Ihr denket wohl, ich scherze?

Ach, denket nicht so klug.

Es lebt in einer Muschel

ein Wurm gar seltner Art;

der hat mir mit Getuschel

sein Herze offenbart.

Das Weiblein mit der Kunkel

Um stille Stübel schleicht des Monds

barbarisches Gefunkel –

im Gäßchen hoch im Norden wohnts,

das Weiblein mit der Kunkel.

Es spinnt und spinnt. Was spinnt es wohl?

Es spinnt und spintisieret …

Es trägt ein weißes Kamisol,

das seinen Körper zieret.

Um stille Stübel schleicht des Monds

barbarisches Gefunkel –

im Gäßchen hoch im Norden wohnts,

das Weiblein mit der Kunkel.

Die Mitternachtsmaus

Wenns mitternächtigt und nicht Mond

noch Stern das Himmelshaus bewohnt,

läuft zwölfmal durch das Himmelshaus

  die Mitternachtsmaus.

Sie pfeift auf ihrem kleinen Maul, –

im Traume brüllt der Höllengaul …

Doch ruhig läuft ihr Pensum aus

  die Mitternachtsmaus.

Ihr Herr, der große weiße Geist,

ist nämlich solche Nacht verreist.

Wohl ihm! Es hütet ihm sein Haus

  die Mitternachtsmaus.

Himmel und Erde

Der Nachtwindhund weint wie ein Kind,

dieweil sein Fell von Regen rinnt.

Jetzt jagt er wild das Neumondweib,

das hinflieht mit gebognem Leib.

Tief unten geht, ein dunkler Punkt,

querüberfeld ein Forstadjunkt.

Mondendinge

Dinge gehen vor im Mond,

die das Kalb selbst nicht gewohnt.

Tulemond und Mondamin

liegen heulend auf den Knien.

Heulend fletschen sie die Zähne

auf der schwefligen Hyäne.

Aus den Kratern aber steigt

Schweigen, das sie überschweigt.

Dinge gehen vor im

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