Adel, Bürger, Dienervolk: die romantische Gesellschaft in Joseph Freiherr von Eichendorffs DIE FREIER.

Von Clarissa Höschel

1. Zur Einführung

Eichendorffs 1883 veröffentlichtes „Lustspiel in drei Aufzügen“ Die Freier wird oft, weil am Ende der Geschichte der romantischen Komödie stehend, als Bilanz der Romantik gesehen. Daraus ergibt sich nur allzu oft die Erwartung, dass darin nicht nur die typischsten Elemente dieser Epoche enthalten sein müssten, sondern auch, aufgrund des Publikationsjahres des Stückes (1833)[1], eine Bewertung dessen, was die Romantik in ihrer Spätphase war, was von den verschiedenen Strängen und Ansätzen der Frühromantik geblieben ist und welchen Zeitgeist das Stück widerspiegelt.
Romantik als Gegenbewegung zur und Weiterführung der Aufklärung auf nicht-rationaler Ebene, das meint vor allem die Ebene der Gesellschaft, der Menschen, des Volkes und nicht zuletzt, des Publikums. In Anlehnung an die politische, soziale und gesellschaftliche Bedeutung der Französischen Revolution ergibt sich automatisch die Frage, wie sich die romantische Gesellschaft konstituiert, und genau diese Frage soll für die Gesellschaft der Freier untersucht werden.
Um diese Frage zu beantworten, werden im Folgenden die gesellschaftlichen Strukturen zu Beginn des Stückes, die Entwicklung und das Zusammenspiel der Personen und Gesellschaftsschichten im Verlauf des Stückes sowie die Eigenschaften der Gesellschaft, die sich zum Ende hin konstituiert, untersucht. Dabei werden Bezüge zu anderen Dramen der Romantik ebenso hergestellt wie zu verschiedenen literarischen und historisch-sozialen Kontexten, die das Stück berührt. Eine genaue Auseinandersetzung nicht nur mit den Figuren, sondern auch den sozialen Schichten, denen diese Figuren angehören, zusammen mit einer detaillierten Analyse des Schlusses und der darin enthaltenen Botschaften, soll schließlich die Frage nach dem Wesen der romantischen Gesellschaft beantworten, so, wie sie sich anhand dieses Textes präsentiert.

2. Die Ausgangssituation

Zu Beginn des Stückes formieren sich zwei voneinander unabhängige Gruppen mit jeweils fünf Personen. Die eine Gruppe bildet sich um Leonhard. Diese Gruppe macht sich auf den Weg zum Waldschloss und umfasst außer Leonhard selbst noch Fleder, Flitt, Schlender und Knoll. Die zweite Gruppe befindet sich bereits im Waldschloss und besteht aus Adele und ihrer Dienerschaft in den Personen Flora, Victor, Friedmann und Marie.

Die ersten drei Szenen des ersten Aufzuges werden entsprechend nur von den Figuren der ersten Gruppe bestritten, während die zweite Gruppe erst in Erscheinung tritt, als die ersten Vertreter von Gruppe eins das Waldschloss erreichen.

3. Die sozialen Schichten

Betrachtet man die auftretenden Figuren des Dramas, so lassen sich auf den ersten Blick drei soziale Schichten erkennen:

* den Adel, vertreten durch Adele[2] und Leonhard
* die bürgerliche Dienerschaft des Adels, vertreten durch die Kammerzofe Flora, den Jäger Victor[3] sowie den Gärtner Friedmann[4] und dessen Nichte Marie
* das niedere Bürgertum, vertreten durch die fahrenden Sänger Flitt und Schlender, den Wirt Knoll und den Boten.

Hofrat Fleder, der, was die Zugehörigkeit zu einer sozialen Schicht betrifft, isoliert auftritt, nimmt in diesem Figurenkanon eine Sonderstellung ein, denn er vertritt das Beamtentum (das grundsätzlich dem gehobenen Bürgertum zugerechnet werden kann) in der Figur des „griesgrämigen Philisters“, der durch seine Unfähigkeit zu Spontaneität nicht wirklich am Spiel teilnimmt. Darüber hinaus stellt diese Figur einen sehr direkten Bezug zu Eichendorffs eigener Biographie her, denn gerade die Auseinandersetzung mit den Beamten-Philistern ist ein zentrales Thema seines Lebens und seiner schriftstellerischen Arbeit[5].

4. Die Figuren
4.1 Die Gruppe um Leonhard
4.1.1 Leonhard

Zum ersten Mal erfahren wir von Leonhard durch den Brief seines Onkels. Darin wird er beschrieben als jemand, der sich dem ewigen, zwecklosen Umherschweifen hingibt, die Weiber verachtet, wütend Phantasten verfolgt und selbst der größte ist, und, so zeigt es seine Reaktion auf den Vorschlag des Onkels, die Gräfin zu besuchen, offensichtlich von sehr impulsiv-spontaner Natur ist (I, 1).
Seine adlige Herkunft manifestiert sich bereits bei seinem ersten Auftritt (I, 3) anhand seiner Sprache, denn er spricht in der typischen Blankversform des klassischen Dramas. Dem Standesunterschied zu Schlender trägt er aber dann dadurch Rechnung, dass er von dieser Sprachform etwas abrückt, als er auf Schlender trifft.
Im Dialog mit Adele (II, 1), in dem beide inkognito auftreten, behält er diese, seinen Adel reflektierende Sprachebene zwar grundsätzlich bei, verfärbt sie allerdings durch das unstandesgemäße „Du“, das er auch Adele anbietet und das als Konzession an die durch die Maskerade suggerierte Situation zu werten ist.
Seine nächsten beiden Auftritte (III, 2 und III, 4) sind wiederum geprägt durch die hohe Sprachebene in Versform, die ihn als Mitglied des Adelsstandes ausweist.
Leonhard ist die Figur, von der man am ehesten erwarten kann, dass sie bestehende gesellschaftliche Grenzen überschreitet, beispielsweise durch eine nicht standesgemäße Heirat, denn die Gedanken, die sich Adele während ihres Monologes (III ,2) macht, macht sich Leonhard nicht; er zieht es vor, sich aus freien Stücken unter das „fahrende Volk“ zu mischen und alleine dadurch schon klare (Standes)Grenzen zu überschreiten.

4.1.2 Hofrat Fleder

Hofrat Fleder stellt sich gleich in der ersten Szene dar als Inbegriff des unterwürfigen Staatsdieners, eine komische Figur, die sich selbst aber für sehr wichtig, diszipliniert und geschätzt hält und dabei nicht bemerkt, dass sie lediglich ein Werkzeug ist, das vom Präsidenten benutzt wird. Fleders Sprache unterstreicht diese Haltung durch einen sterilen Beamtenton, geschmückt mit vielen Floskeln, die samt und sonders dazu dienen, den Sprecher in das jeweils rechte Licht zu rücken, und zwar abhängig vom Gegenüber.
Im Vergleich zu dem Boten, der mit ihm die erste Szene bestreitet, ist der Hofrat tatsächlich der Überlegenere; im Vergleich zum Präsidenten zeigt sich aber sehr schnell seine Einfalt, was durch seine Einwürfe beim Lesen des Briefes (I, 1) sehr deutlich wird. Fleder lässt sich leicht manipulieren, fühlt sich sehr geschmeichelt von dem vermeintlichen Vertrauen, das ihm der Präsident entgegenbringt und ist sofort auf dessen Seite (Gott, ja wohl… o armer, würdiger Oheim!), lässt sich becircen durch den Hinweis auf sein vermeintlich „charmantes Flötenspiel“ (In der Tat …) und reagiert indigniert, als der Präsident ihn in einem Postkriptum ermahnt, nicht noch größere Verwirrung zu stiften (Hält er mich für einen Jungfernknecht, wie den gemeinen Haufen?). „ …noch in dieser Stunde“ macht er sich in der Verkleidung eines Flötenspieler auf, „… zwei verwilderte Herzen für die allgemeine Sache der Menschheit zu erwärmen ….“, ein wahrhaft kühnes Unterfangen, dem er sich aber durchaus gewachsen fühlt.
Seinen nächsten (kurzen) Auftritt erleben wir drei Szenen später (I, 4), als Fleder sich am Hof der Adele vorstellt, nicht ohne einen verächtlichen Blick auf Flitt zu werfen, den er erst kurz zuvor kennengelernt hat. Die Maskerade um ihn herum durchschaut Fleder nicht und es wird auch sehr schnell klar, dass er in seinem gradlinigen Beamtendenken verharren wird, denn „Das komische […] war niemals mein Fach…“ und sich dadurch endgültig als der bereits erwähnte „griesgrämige Philister“ zu erkennen gibt.
Mit dieser Unfähigkeit zu Spontaneität und Improvisation ist es nicht weiter verwunderlich, dass die weiteren Auftritte des Hofrates (ab I, 4 jede zweite Szene) immer unpassender und blamabler werden, denn er ist ernst, wo kein Ernst vonnöten ist und verstrickt sich immer weiter und ohne sich dessen bewust zu sein in die Rolle des unfreiwilligen Komikers.
Sein letzter Auftritt (III, 4), obschon sprachlich der Schluss-Szene und damit auch der konstituierten Gesellschaft angemessen, ist gleichzeitig der Gipfel der Blamage, denn er hat bis zum Schluss das Spiel nicht durchschaut, ist zornig geworden in seiner Engstirnigkeit und glaubt nun, Zeuge eines unstandesgemäßen Tête-à-tête des Grafen geworden zu sein, woraufhin Fleder, in wütend-empörter Pflichterfüllung, beschließt: „Dem Präsidenten eil‘ ich’s zu berichten, /Wie hier sein Neffe, seines Hauses Stolz, /Bei Nacht sich wegwirft an ein Kammermädchen, /Die freilich lieber Gräfin wär‘, als Jungfer.“
Spricht’s und zieht von dannen. Nicht auszudenken, was ihm der Präsident, der bis dahin sicher längst weiß, dass sein Neffe „die Richtige“ umworben hat, auf diesen Bericht erwidern wird.

4.1.3 Flitt und Schlender

Diese Beiden, als Inbegriff der Spielernaturen, vertreten eindeutig die niedere, weil der unteren sozialen Schicht zugeordneten Romantik (der Begriff der Wunderhorn-Romantik sei an dieser Stelle gestattet) und sind, neben Knoll und dem Boten, diejenigen Figuren, die das einfache Volk repräsentieren, nicht zuletzt durch die Lieder, die zum Besten gegeben werden: so findet sich Des guten Kerles Freyerei (II, 2) im ersten Band der berühmten Volks(lied)gutsammlung.
Flitt ist zweifelsohne der gerissenere der Beiden, der zwar den Schwindel um Gräfin und Laubenszene ahnt, sich aber dennoch einen eigenen Vorteil erhofft und glaubt, durch spontanes Handeln seinem eigenen Schicksal auf die Sprünge helfen zu können.
Er ist im Gegensatz zu Schlender der aktive Charakter, der selbst eingreift, um die Ereignisse nach seinem Gutdünken zu manipulieren. Nachdem er von Victor an die Laube bestellt wurde, um dort die Gräfin zu treffen, bestellt er selbst Knoll dorthin und Leonhard und Adele (als Kammerzofe) auf die andere Seite des Gartens, um freie Bahn für „seine“ Entführung zu haben. Dies drückt sich auch in seiner Sprache aus, die wesentlich aktiver ist als die seines Gefährten, die deutlich wendiger ist und auch Wortspiele und lateinische Zitate (wenngleich ohne den entsprechenden Bildungshintergrund) beinhaltet. Auch ist Flitt durchaus in der Lage, seine eigene Sprachebene bis zu einem bestimmten Punkt an die seines Gesprächspartners anzupassen.[6]
Schlender verkörpert demgegenüber die Figur des dümmlichen Taugenichts, der im Schatten eines gerisseneren Gefährten (Flitt) mehr schlecht als recht sein Dasein fristet. Er ist der passive Charakter, der sich führen lässt, in die Lieder seines Freundes gewohnheitsmäßig einstimmt und auch das Verkleidungsspiel auffallend kritiklos mitmacht, weil ihm seine Einfalt einen abstrakt-utopischen Nutzen suggeriert. Parallel dazu ist auch seine Sprache plump, unbeholfen, Ausdruck geringer Bildung und oft lächerlich, insbesondere dann, wenn er versucht, eine höhere Sprachebene zu imitieren, die nicht seinem eigenen Niveau entspricht. Er selbst bezeichnet sich als Janitschar[7] der Leipziger Völkerschlacht von 1813 und damit als Anhänger des der unteren sozialen Schicht zugeordneten Patriotismus der demokratischen Idee.[8]

4.1.4 Knoll

Knoll, der Wirt der Dorfschenke, gibt den Impuls für den Aufbruch Flitts und Schlenders zum Schloss, als er auf Flitts Frage hin von Adele erzählt (I, 2).
Knoll lässt sich als Spiegelfigur des Hofrates (auf einer niedrigeren sozialen Ebene) deuten, denn auch er, der seine vermeintlichen Grundsätze hat, die sich am Morgen in der Dorfschenke manifestieren (I, 2), entpuppt sich schnell als Konformist und Obrigkeitshöriger, der sich, in der Gier nach eigenem Vorteil und eigener Aufwertung, zunächst von dem Schein trügen lässt, Schlender sei der verkleidete Graf, und der später zum Werkzeug Friedmanns wird, in der Erwartung, für seine vermeintlich wichtigen Dienste belohnt zu werden.
Auf sprachlicher Ebene ist Knoll dem Boten gleichgestellt, denn auch seine Sprache ist gekennzeichnet durch eine schon peinliche Anhäufung falsch gebrauchten Vokabulars mit auffallend vielen, meist um eine Silbe erweiterten Gallizismen, die Ausdruck des Bedürfnisses Knolls sind, mehr zu scheinen denn zu sein.

4.2 Die Gruppe um Adele
4.2.1 Adele

Adele lernen wir zunächst nur aus Beschreibungen kennen, zuerst aus der des Präsidenten in seinem Brief an den Hofrat (I, 1), in dem sie charakterisiert wird als unabhängige, liebeswürdige (?), reiche, männerverachtende, launische Phantastin, die aus Langeweile auf ihr einsames Waldschloss[9] geflüchtet ist und dort wandernde Schauspieler beherbergt.
Die nächste Beschreibung hören wir von Knoll, der sie vor allem als Krudele paraphrasiert – ein Wortspiel in Anlehnung an ihre vermeintlich grausame Haltung gegenüber ihren Verehrern, denn sie, so Knoll, „stößt alle Liebhaber vor den Kopf“ (I, 3).
Was ihre sprachlichen Eigenschaften betrifft, so finden sich auffallend viele Parallelen zu Leonhard. Ihrem adligen Stand entsprechend in der verssprachlichen Ebene zuhause, passt sie sich bei ihrem ersten Auftritt (I, 4) den Umständen an und wechselt kurzzeitig zu einer etwas niedrigeren Sprachebene, ohne deswegen die Hochsprache jedoch vollständig zu verlassen.
Und ähnlich wie im Falle Leonhards wird sie bei ihren weiteren Auftritten immer deutlicher die „adlige Adele“, die sich ihrer Stellung bewusst ist und dies auch durch ihre Sprache zum Ausdruck bringt.

4.2.2 Flora

Zunächst Adeles Kammerzofe und Gräfin während der Maskerade, wird Flora durch ihre Hochzeit mit Victor zur Parallelfigur der Adele auf der nächstniedrigeren sozialen Ebene.
In dieser Figur wird deutlich, wie die soziale Gruppe der Dienerschaft und des Bürgertums in Adelshäusern einzuordnen ist: vom sozialen Stand her nicht zum Adel gehörig, sind sie diesem jedoch so nahe, dass sie durchaus in der Lage sind, sich durch ihr Verhalten und auch ihre Sprache dem Adel so weit anzupassen, dass sie auch kurzzeitig mit diesem zu verschmelzen in der Lage sind.
Flora spielt nicht nur die Gräfin, sondern identifiziert sich zeitweise auch mit dieser und wirkt in diesen Momenten durchaus glaubwürdig, wenngleich durch den Kontext von Maskerade und Rollenspiel klar ist, dass die Standesgrenzen nicht wirklich aufgehoben werden. Als dem Adel nahestehend, gehört die Dienerschaft zwar auch zum Schluss nicht wirklich „dazu“, ist aber andererseits auch nicht vom Adel zu trennen, sondern behält ihren festen Platz an dessen Seite.

4.2.3 Friedmann

Der Gärtner Friedmann zeigt sich als der Seriöse (im Gegensatz zu Victor), hat keinen Sinn für Narrenpossen[10], dafür aber umso festere moralische Grundsätze, die er sich auch nicht nehmen lassen möchte (I, 4). Des Weiteren entpuppt er sich als Bekannter des Dorfwirtes Knoll, den er nicht nur über die im Waldschloss stattfindende Maskerade informiert, sondern ihn auch benutzt (wie es seinerzeit der Präsident mit Fleder getan hat), um seine eigenen Vorstellungen durch die vermeintliche Entführung der Gräfin durchzusetzen, denn auch Friedmann findet, dass es an der Zeit sei, Adele zu verheiraten und die Schlossherrschaft in seriöse Bahnen zu lenken.
Auffällig ist an dieser Stelle, dass Friedmann auf seiner sozialen Ebene, vor allem durch seine eindeutige moralische Haltung und seine sehr klar formulierten Grundsätze und Vorstellungen, der Figur des Präsidenten auf der nächsthöheren Ebene entspricht , wobei sich beide eines Werkzeuges aus der nächstniedrigeren Ebene bedienen, um durch Manipulation in die Entwicklung einzugreifen; schlussendlich sehen auch beide ihre jeweiligen Absichten verwirklicht.
Auf sprachlicher Ebene entspricht auch Friedmann der Dienstbotengruppe um die Gräfin und auch er, der sich anfangs durch eine sachliche und korrekte, seinen wachen Verstand mit Wortspielen untermauernde Sprache darstellt, rückt gegen Ende glaubhaft auf in die Sprachebene seiner Herrschaften.

4.2.4 Victor

Victor, der Jäger, verkörpert, mit seiner spontan-impulsiven Art, seinem fröhlich-spitzbübischen Charakter und seinem (seinem Namen entsprechenden) offensiv-liebenswürdigen Verhalten den Gegenpol zu Friedmann. Genau wie dieser versucht er die Geschehnisse in seinem Sinne zu beeinflussen, doch dabei agiert er nicht versteckt, sondern in der Mitte des Schauplatzes, wo er mehrere Figuren vorfindet, die er geschickt zu dirigieren versucht.
Genau wie Flora und Friedmann ist auch er sprachlich der adligen Ebene gewachsen, begnügt sich aber nicht damit, der Schluss-Szene als Zuschauer beizuwohnen und einen inneren Triumph auszukosten wie Friedmann, sondern macht die Schluss-Szene durch seine Vermählungsabsichten auch zu seiner Szene, wenngleich auch ihm die Räume des Adels nach wie vor verschlossen bleiben.

 

4.3 Der Präsident

Die Figur des Präsidenten, der lediglich zweimal durch Briefe (I, 1 und I, 4) in Erscheinung tritt, verkörpert den „Spielleiter im Hintergrund“, jene Figur, die durch wenige, aber entscheidende Eingriffe in die Handlung diese maßgeblich beeinflusst.[11]
Sein erster Brief beweist seine Absicht, in die Geschicke von Adele und Leonhard einzugreifen, da sich diese Beiden seiner Meinung nach nun endlich auch den Konventionen (und das bedeutet eine standesgemäße Heirat, die Abkehr von Phantastereien und damit die Integration in die bestehende soziale und gesellschaftliche Ordnung) beugen sollten. Den entsprechenden Plan hat er ebenfalls schon entworfen und bedient sich des unterwürfigen, in seiner Loyalität zuverlässigen Hofrates Fleder, der in seinem Auftrag das Gelingen desselben forcieren soll.
Sein zweiter Brief, der über einen Umweg (vgl. dazu 5.2) an Gräfin Adele gelangt, bewegt die Gräfin, ihrerseits eine Maskerade zu initiieren.

4.4 Der Bote und Marie

Die Figur des Boten, die lediglich in der ersten Szene erscheint, gehört zum niederen Bürgertum und zeichnet sich durch Tolpatschigkeit und falsch verwendetes Vokabular aus, was sie sprachlich auf eine Ebene mit Knoll stellt. Für die weitere Handlung hat der Bote keinerlei Bedeutung, außer der Tatsache, dass er es ist, der dem Hofrat den Brief des Präsidenten überbringt.
Marie erscheint in nur zwei Szenen (I, 4 und III, 1) und gehört als Nichte des Gärtners Friedmann zur Dienerschaft um Adele. Zwar hat auch sie keine wesentliche Bedeutung für die weitere Handlung, doch wird in ihren beiden Auftritte die Entwicklung des Stückes hin zur gehobenen Gesellschaft der Eichendorffschen Spätromantik deutlich:
Während sie sich bei ihrem ersten Auftritt noch einer normalen Sprache bedient, geht sie im zweiten Auftritt, im Dialog mit der als Offizier verkleideten Flora, eine Sprachebene höher zur Versform über und etabliert sich damit zumindest sprachlich in der Schlussgesellschaft des Stückes, auch wenn sie in den letzten beiden Szenen nicht mehr erscheint.

4.5 Figurenbeziehungen

Stellt man sich die handelnden Figuren in Hierarchie der drei auftretenden Schichten (die Dienerschaft wird in diesem Kontext als zum Adel gehörig verstanden), so fällt auf, dass sich Beziehungen von Figuren untereinander wiederholen. So entspricht die Beziehung des Präsidenten zu Hofrat Fleder der Beziehung Friedmanns zu Knoll; die Beziehung Leonhards zu Victor entspricht der Beziehung zwischen Adele und Flora, und analog dazu entspricht die Paarbeziehung zwischen Leonard und Adele der Paarbeziehunge zwischen Victor und Flora. Allen Analogien gemeinsam ist, dass sie sich auf verschiedenen sozialen Ebenen bewegen, was bewirkt, dass der Präsident und Friedmann, Fleder und Knoll, Leonhard und Victor sowie Adele und Flora zu in der Sozialhierarchie versetzten Spiegelfiguren werden.

5. Aufbau der Handlung
5.1 Der erste Handlungstrang

Die ersten drei Szenen des ersten Aufzuges konstruieren den ersten Handlungsstrang, nämlich das Mobilisieren und Zusammentreffen derjenigen Personen, die sich auf das Waldschloss zubewegen.
Durch den Brief des Präsidenten erfahren wir in der ersten Szene von der Mobilisierung Leonhards, der, wie sich später herausstellt, im Wald auf Schlender trifft (I, 3) und mit diesem zusammen das Waldschloss erreicht: Leonhard als Sänger Florestin, sein Begleiter als Violinist.
Des Weiteren wird in dieser Szene Hofrat Fleder mobilisiert, der sich sogleich auf den Weg macht und irgendwann unterwegs auf Flitt trifft. Beide erreichen zusammen (vor Leonhard und Schlender) das Waldschloss − Fleder inkognito als Flötenspieler Arthur und Flitt als Bühnenkünstler.
Sie entsprechen damit genau den Personen, die im Waldschloss erwartet werden, nämlich Leonhard in der Verkleidung eines reisenden Schauspielers und Fleder in Gestalt eines Flötenspielers, und werden folglich als diese angesehen.
Die zweite Szene mobilisiert Flitt und Schlender, die sich, von der Dorfschenke Knolls ausgehend, ebenfalls auf den Weg zum Waldschloss machen.
Die dritte Szene vermischt die bis dahin mobilisierten Personen und setzt sie neu zusammen. Flitt und Schlender werden durch einen Zufall getrennt. Schlender trifft sogleich auf Leonhard und Flitt trifft, wie wir später erfahren, auf Hofrat Fleder, wodurch sich zwei neue Gruppen konstituieren, die unabhängig voneinander im Schloss eintreffen.

5.2 Der zweite Handlungsstrang

Die letzte Szene des ersten Aufzuges initiiert den zweiten Handlungsstrang, wiederum durch einen Brief des Präsidenten, der (unbeabsichtigterweise?)[12] die Gräfin erreicht, sodass diese über das Inkognito-Eintreffen von Leonhard und Fleder informiert ist. Adele beschließt daraufhin, ebenfalls die Rolle zu tauschen, und zwar mit ihrem Dienstmädchen Flora.

5.3. Der weitere Handlungsverlauf

Nachdem alle Beteiligten im Waldschloss versammelt sind, beginnt das eigentliche Verwirrspiel um Identität und Identitätsfindung, um individuelle Interessen und geschickte Manipulation.
Im Hinblick auf die Eichendorffsche Gesellschaft drängt sich nun die zentrale Frage nach den Absichten der einzelnen Personen auf und es wird sehr schnell klar, dass diejenigen, die aus „niederen Beweggründen“ (ausschließlich auf der Suche nach dem eigenen Vorteil) handeln (Flitt, Schlender, Knoll und nicht zuletzt Fleder) auch diejenigen sind, die ihrerseits zum Werkzeug anderer werden und sukzessive den Schauplatz der Ereignisse verlassen (müssen).
Betrachtet man demgegenüber das Kerngeschehen und gestattet sich die Frage, welche Figur der Gruppe um Leonhard überhaupt noch in der Schluss-Szene vorkommt, so wird deutlich, dass alle Figuren, außer Leonhard selbst, lediglich Statisten sind, Staffage für die eigentliche Handlung.Die eigentliche Handlung besteht konkret darin, dass sich Adele und Leonhard auf den ersten Blick ineinander verlieben (II, 1) und, nach Klärung der wahren Identitäten, auch zueinander finden.
Erweitert wird diese Kernhandlung um den Selbstfindungsprozess der Adele, die in ihrem Monolog (III, 2) für sich entscheiden muss, wie wichtig ihr ihre eigene Standeszugehörigkeit und die damit verbundenen Konventionen und Verhaltensregeln tatsächlich sind.
An dieser Stelle entscheidet sich, ob sie tatsächlich die Launische, Phantastische ist, als die sie vom Präsidenten beschrieben wird, oder aber eine Frau, die aus Überzeugung, mit Würde und Konsequenz ihren angestammten Platz in der Gesellschaft ausfüllt.
Und erst, als diese Entscheidung glaubhaft und unwiderruflich steht, Adele in sich gefestigt ist, wird ihr die wahre Identität des Geliebten enthüllt[13] und sie erfährt, dass das Opfer, das sie bereit gewesen wäre zu erbringen, nicht nötig ist.

6. Die Schluss-Szene

Nach dieser isolierten Betrachtung des Kerngeschehens stellt sich unweigerlich die Frage nach der verbleibenden Gesellschaft gegen Ende des Stückes. Zur Beantwortung dieser Frage bietet sich die detaillierte Analyse der Schluss-Szene an, die ja per definitionem die ideelle Grundaussage des Stückes in Bildern darstellt.
Zunächst einmal sei der Hinweis auf die Bezeichnung des Stückes als „Lustspiel in drei Aufzügen“ gestattet und an die klassische Personenzuordnung in Tragödie (Adel) und Komödie (niedere Gesellschaftsschichten) erinnert, die ja in der Frühromantik annulliert werden sollte, ebenso wie die klassische Einteilung des Dramas nach Aristoteles in fünf (Tragödie) bzw. drei Akte (Komödie).
Man darf also, nach dieser klassischen Dramentheorie, handlungsweisende Bedeutung der niederen Gesellschaftsschichten bis zum Ende des Stückes erwarten, zumal ja anfänglich alle Schichten auf der Spielfläche erscheinen.
Inhaltlich betrachtet, und dabei vor allem im Hinblick auf die Schluss-Szene, wandelt sich jedoch das Bild. Dazu ist festzuhalten, dass Flitt, Schlender und Knoll bereits in der vorangegangenen Szene das Spielfeld verlassen und somit in der Schluss-Szene überhaupt nicht mehr vorkommen.[14]
Damit ist die gesamte Schicht des niederen Bürgertums ausgegrenzt und hat keinen Platz mehr in der in der Schluss-Szene konstituierten Gesellschaft, was natürlich auch die Wunderhorn-Romantik ausschließt, die besonders in den Figuren Flitt und Schlender die Bühne dieses Stückes betreten hatte.
Auch Hofrat Fleder verlässt die Schluss-Szene sehr früh und tragischerweise, ohne das Spiel durchschaut zu haben und ohne die tatsächliche Konstellation zu erkennen, wodurch sein Platz in der Gesellschaft auf eine recht marginale Position gedrängt wird.
Adele und Leonard sind demgegenüber die Protagonisten des Stückes, diejenigen Personen, um die sich von Anfang alles dreht, und die in der Schluss-Szene die zentralen Figuren der spätromantischen Gesellschaft sind. Schlüsselstelle hierfür ist Adeles Monolog (III, 2), in dem sie zunächst nochmals die tiefemotionale Welt der Romantik wiederbelebt, sich von Büschen und Marmorbildern (die Assoziation zu Eichendorffs Marmorbild ist sicher nicht unbeabsichtigt) beobachtet wähnt, Todesfurcht (Schatten, in die ein fröhlich atmend Herz versinkt) und Verzweiflung (O Nacht, verhülle ihn …) zulässt und unter der Last dieses breitgefächerten emotionalen Spektrums fast zusammenbricht, denn „sie sinkt, das Gesicht verhüllend, auf einen Rasensitz“ (III, 2).
Doch dann fasst sie sich, „sich wieder aufrichtend“ und spricht die Worte, die bezeichnend sind für den weiteren Weg nicht nur des Stückes sondern auch dessen, was nach dem Stück zurückbleibt an Erkenntnis:
„Entartet“ ist es, wenn die Tochter hoher Helden keine Heldenhoheit zeigt, und das bedeutet, wenn sie nicht fähig ist, sich selbst zu überwinden, sondern sich dem gemeinen Trieb der Welt gleichstellt und gleichstellen lässt.
Als f r e i e H e r r i n erkennt sie sich, scheint wie aus einem Traum aufzuwachen, sich ihrer selbst, ihrer Herkunft und der daraus erwachsenden Verpflichtung nicht nur bewusst zu werden, sondern diese auch sehr bewusst anzunehmen und zu vertreten. Sie ist bereit, auf ihr eigenes Glück, ihre Liebe zu (dem vermeintlich unstandesgemäßen) Florestin zu verzichten, um ihrer Stellung in der Gesellschaft Rechnung zu tragen.
Eine eindeutige Haltung. Eine aufwühlende Haltung. Und eine Absage an die mit der Französischen Revolution propagierte Aufhebung der Standesunterschiede, an egalité und liberté, an den selbständig denkenden Menschen bei Kant und Fichte und an die Euphorie der Frühromantik, die übermütig sämtliche Standesdünkel über den Haufen wirft, Kater zu Adligen[15] macht oder Könige zu entmachteten Emigranten[16], die eine bürgerlich-adelige Ehe gestattet[17] oder das Bürgertum die Initiative und schließlich die Herrschaft übernehmen lässt.[18]
Fast versöhnlich wirkt in diesem Moment die Aufdeckung der wahren Identität des vermeintlichen Sängers, der sich doch noch als standesgemäß entpuppt und Adele dadurch ihr großes Opfer zum Wohle der Gesellschaft erspart. Doch enttäuscht wird, wer nun auf ein ständeübergreifendes glückliches Ende hofft. Das Ende gestaltet sich vielmehr ausgesprochen nüchtern: Leonhard und Adele finden sich, versprechen sich die Hochzeit und gehen. Keine Hochzeitseinladung an die anderen Beteiligten, keine gemeinsame Freude[19], keine gemeinsame Ebene.
Die Auflösung der Ständegesellschaft ist damit endgültig gescheitert, die Stände bleiben weiter unter sich, vermischen sich nicht, nicht einmal in besonderen Situationen wie es eine Hochzeit ist. Die Dienerschaft wohnt dieser Szene zwar bei, ohne jedoch beteiligt zu sein, bleibt reduziert auf die Zuschauerrolle, die sie auch im wahren Leben innehat.
Der Jäger Victor tut es allerdings den Herrschaften gleich und verspricht der (hier stummen) Flora die Ehe, um sie ebenfalls fortzubringen. Wiederum keine gemeinsame Freude, nicht einmal unter der Dienerschaft. Gärtner Friedmann bleibt alleine zurück und schreit ein verlorenes „Vivat!“, in das niemand mit einstimmt.
Einziger Trost an dieser Stelle: dem Gärtner sei unterstellt, dass er sich ganz für sich alleine freut, weil sich genau das ereignet hat, was er selbst sich gewünscht (nämlich die standesgemäße Hochzeit) und wozu auch er seinen Beitrag (in Form der initiierten Entführung) geleistet hat.

7. Zusammenfassung

Werden zu Beginn des Stückes noch alle sozialen Schichten durch ihre jeweiligen Repräsentanten vorgestellt und in die Handlung einbezogen, so verdichtet sich diese mehr und mehr zur Kernhandlung einer Kerngesellschaft, die sich in der Schluss-Szene präsentiert, allerdings nicht, ohne auf dem Weg dorthin einige typisch romantische Elemente aufgegriffen zu haben. Besonders konzentriert erscheinen diese Elemente in der Figur der Adele, so in ihrem Dialog mit Flora (I, 4), als Adele sich an Heidelberg erinnert, an ein Schiff auf dem Neckar, an einen fröhlichen Gesellen auf dem Schiff, der der Burg zuwinkt.
Die Ähnlichkeiten zu Motiven von Brentano[20] sind unverkennbar, und auch die latent mystische Stimmung, in der sich sowohl die rezitierte Szene als auch der Dialog der beiden Frauen abspielt, findet sich in vielen Stücken der Romantik (vor allem in zahlreichen Balladen) wieder.
Kulminationspunkt dieser Szene ist die spätere Identifikation des Leonhard (verkleidet als Florestin) mit den Worten: Das ist Er! (I, 4), eindeutig bezogen auf das Traumbild des Gesellen auf dem Neckar.
Das Traum-Motiv bedeutet gleichzeitig ein weiteres, sehr wichtiges Element der Romantik, das auch in anderen Dramen einen handlungsrelevanten Platz hat[21], beinhaltet es doch nicht nur eine offene Auflehnung gegen das Ratio-Prinzip der Aufklärung, sondern darüber hinaus auch ein ebenso offenes Bekenntnis zur Religion, denn dort sind Träume oft nichts anderes als göttliche Weisungen und Offenbarungen, die auf die eine oder andere Art und Weise in das Leben der Sterblichen eingreifen.
Auch Adele hat diese Träume (II, 1), die, ganz in der romantischen Tradition, ihrem Herzen den rechten Weg weisen, auch wenn sie selbst später bereit ist, zugunsten sozialer Konventionen auf ihr so antizipiertes Glück zu verzichten.
Auffällig ist, dass auch Leonhard im Traum von seiner Liebsten erfährt (III, 4), womit eine eindeutige Parallele zu Kleists Käthchen von Heilbronn offenbar wird, denn auch bei Kleist träumen beide Liebenden zu Beginn des Stückes voneinander, haben aber, wie auch Adele und Leonhard, noch einige Verwirrungen zu überstehen, bis sie, ebenfalls wie Adele und Leonhard, auch im Einklang mit herrschenden sozialen Konventionen zueinander finden.
Die epochentypischen Elemente wie Maskerade und Spiel-im-Spiel[22] stellen einerseits die in der Schluss-Szene nicht mehr vorhandenen Figuren bloß (in den Figuren Knoll und Schlender scheint sogar zeitweise der Hanswurst[23] zurückgekehrt zu sein), überdecken andererseits aber auch die Kernhandlung, die sich im Verlaufe des Stückes mehr und mehr von diesem Ballast befreien muss. Dieser Ballast besteht im übertragenen Sinne in der Wunderhorn-Romantik[24], die offenbar zu viel an das individuelle (vgl. 5.3) und zu wenig an das Wohl der Gesellschaft denkt und somit zur Konstituierung und Erhaltung derselben nichts beizutragen hat.
Die Kernhandlung des Stückes, Liebe und Hochzeit zwischen Adele und Leonhard, symbolisiert dagegen den Konflikt zwischen ratio und emotio. Favorisiert die reine Ständegesellschaft die Ehe als Zweckbündnis zur Durchsetzung materieller und sozialer Interessen, sehen die Frühromantiker in der Ehe das ausschließlich auf Liebe beruhende Bündnis zweier Menschen vor der Welt und Gott − zwei Konzepte, die sich per definitionem ausschließen, es sei denn, der Zufall käme zuhilfe und ließe genau die beiden Menschen sich ehrlich lieben, die auch nach materiellen und sozialen Kriterien zusammenpassen.
Das vorliegende Stück konstruiert diesen Idealfall, indem Leonhard und Adele zunächst als nicht standesgemäßes (heimliches) Liebespaar erscheinen, das erst nach Adeles Monolog und durch die Aufhebung der Maskerade[25] zu einem standesgemäßen wird. Somit wird die Übereinstimmung zwischen dem, was die Gesellschaft erwartet (repräsentiert in der Figur des Präsidenten und unterstützt von Friedmann) und dem, was das Gefühl zweier Menschen (Leonhard und Adele) verlangt, erreicht; der eigentlich existente Konflikt zwischen ratio und emotio wird dadurch gelöst, dass es diesen Konflikt durch den konstruierten glücklichen Zufall nicht mehr gibt.

8. Schlussbemerkung

Eichendorff hat sich mit diesem Stück eindeutig in der Spätromantik positioniert, hat Stellung bezogen zu den Strömungen, die nach der Französischen Revolution in Aufklärung und Frühromantik münden und sich letztendlich für keine der beiden entschieden, sondern seine eigene Gesellschaft etabliert, die Züge beider Seiten trägt und eine adlige, gebildete Gesellschaft propagiert, in der das niedere Volk zwar keinen Platz hat, dafür aber die emotionale Welt der Romantiker, solange sie mit den gesellschaftlichen Normen vereinbar ist.
Sein Eintreten für emotio und religio situiert ihn unter den Gegnern der Aufklärung, die Erhaltung des Ständestaates und das Ausschließen der niederen sozialen Schichten in der Eichendorffschen Gesellschaft annullieren jedoch die Bemühungen der Frühromantiker, ein einziges Volk zu schaffen, das einer gemeinsamen Seele Leben einhaucht, wie es beispielsweise in der Schluss-Szene von Brentanos Die Lustigen Musikanten (1803) propagiert wird.
Die versöhnliche Geste, Konventionen und individuelle Wünsche auf einen Nenner zu bringen, findet sich vor Eichendorff u. a. schon bei Kleist (Das Käthchen von Heilbronn) und bedeutet dort die Abkehr von äußerer Revolution im Sinne einer Umstrukturierung der sozialen Ordnung zugunsten einer inneren Reform durch Generationenwechsel und der damit einhergehenden Lockerung ehemals starrer Ansichten.
Bei Eichendorff bedeutet dies nicht nur einen versöhnlichen Vorschlag, sondern eine Spiegelung sowohl seiner eigenen, als auch der zeitgenössischen Ansichten, denn zwischen den beiden genannten Stücken von Kleist (1810) und Eichendorff (1833) liegen fast 25 Jahre, und das bedeutet eine ganze Generation, die aber, und das ist mit dem Wiener Kongress und seinen Konsequenzen historisch belegt,[26] tatsächlich restauriert hat, was spätestens seit der Französischen Revolution der Vergangenheit hätte angehören sollen.

Anmerkungen:

[1] Erste Entwürfe sind bereits ab 1810 entstanden, eine frühere Fassung von 1820 trägt den (sehr interessanten) Titel “Wider Willen”.

[2] Der Name Adele verweist nicht nur auf die adelige Herkunft der Protagonistin, sondern impliziert auch, was sich in ihrem Monolog (III, 2) bestätigt: eine innere Haltung, die sich im Moment der Entscheidung durchsetzt und kein Durchbrechen der sozialen Ordnung zulässt.

[3] Victor: lat. Der Sieger, Besieger, Überwinder. Der Jäger hat in der Tat etwas von einem Sieger, denn er ist nicht nur aktiv am Intrigenspiel beteiligt, sondern “gewinnt” auch die Kammerzofe Flora für sich.

[4] Der Gärtner erscheint tatsächlich als “Mann des Friedens”, der die bestehende Ordnung nicht nur nicht stören, sondern im Gegenteil erhalten und festigen möchte, und seinen Beitrag in Form eines geschickten Plans leistet, von dem aber kaum jemand etwas weiß, sodass er am Schluss in stiller Freude alleine bleibt.

[5] Auf eine weitergehende Auseinandersetzung mit diesem sehr komplexen Thema muss im Rahmen dieser Arbeit leider verzichtet werden.

[6] Etwa in Flitts Dialog mit Knoll (II, 1) oder in der Unterhaltung mit Leonhard (II, 1).

[7] Aus dem Türkischen eingedeutscht für “Soldat des neuen Kriegsvolkes”.

[8] Interessant ist in diesem Zusammenhang, dass Eichendorff − er gehörte als 25-jähriger (1813) dem Lützower Freicorps an − selbst an dieser Schlacht teilgenommen, sich aber später von dieser „Jugendsünde“ distanziert hat.

[9] Die Verlagerung von Handlungssträngen auf Landsitze, fernab von der konventionellen Gesellschaft, findet sich auch in anderen romantischen Stücken, so beispielsweise in Brentanos Ponce de Leon (1803), dessen zentrale Handlung ebenfalls auf einem Landgut stattfindet.

[10] Diese Haltung erinnert zwar sehr an Fleder, dennoch wird Friedmann nicht wie der Hofrat zu einer lächerlichen Figur. Seine Haltung ist nicht von außen vordefiniert aufgrund einer Rolle, die er im Leben übernommen hat, sondern entspringt seiner inneren Überzeugung und ist unabhängig von äußeren Einflüssen und damit glaubwürdig, während Fleder mit einer schon fast tragischen inneren Leere darauf angewiesen ist, sich an Äußerlichkeiten festzuklammern, immer in der Hoffnung, auf positiven Anklang zu stoßen.

[11] Es lassen sich auffällige Gemeinsamkeiten erkennen zur Figur des Vaters in Brentanos Ponce de Leon (1803) oder zu der des Kurfürsten in Kleists Prinz von Homburg (1809/10), denn auch sie sind in den jeweiligen Stücken diejenigen, die durch punktuelles Eingreifen die weitere Handlung entscheidend beeinflussen.

[12] Im Text heißt es dazu: Der Präsident vertraute es unter dem Siegel der Verschwiegenheit der Gräfin Jolante, und die versiegelte es noch einmal und schickte es an unsre Gräfin. (I, 4). Unklar bleibt deshalb, ob die Gräfin Jolante das Vertrauen des Präsidenten missbraucht oder aber ob der Präsident sich der Gräfin Jolante bedient, um Adele zu informieren.

[13] Der Impuls zu dieser Enthüllung kommt natürlich von Adele selbst, denn sie ist es, die der Maskerade ein Ende bereitet (III, 4), weil sie das falsche Spiel nicht länger ertragen kann.

[14] Interessant ist in diesem Zusammenhang, dass diese Figuren in den für Eichendorff so typischen „fernen Gründen“ verschwinden, denn die vermeintliche Entführung findet auf einem einsamen Waldplatz statt. Friedmann berichtet in der letzten Szene (III, 4): "… da hören wir’s noch fern im Grunde rumpeln, dazwischen Stimmen zankend durch die Nacht …"

[15] Ludwig Tieck: Der Gestiefelte Kater (1797)

[16] Ludwig Tieck: Die Verkehrte Welt (1799)

[17] Clemens Brentano: Ponce de Leon (1803). Hier vermählt sich die bürgerliche Valeria mit dem Adligen Porporino.

[18] Achim von Arnim: Die Vertreibung der Spanier aus Wesel (1813).

[19] Ständeübergreifende Schluss-Szenen, in denen alle Beteiligten gemeinsam auftreten, finden sich u. a. in: Clemens Brentano: Die Lustigen Musikanten (1803) oder Achim von Arnim: Die Vertreibung der Spanier aus Wesel (1813).

[20] Vgl. dazu seine Ballade Lore Lay (1800).

[21] Vgl. dazu beispielsweise Kleists Der Prinz von Homburg (1809/10) oder Das Käthchen von Heilbronn (1807/08); ebenso Achim von Arnims Die Vertreibung der Spanier aus Wesel (1813).

[22] Eichendorff lässt den Jäger Victor das Spiel-im-Spiel thematisieren, als dieser im Dialog mit Flora bemerkt: „O vortrefflich! – Aber ich möcht‘ nicht Jungfer spielen in einem Lustspiele, sie bekommt im letzten Akt eine Haube weg, sie weiß nicht wie.“ (I, 4). Dieser Ausspruch ist gleichzeitig auch eine Vorausdeutung innerhalb dieses Stückes, denn Flora wird tatsächlich heiraten, und zwar genau den Mann, der ihr gegenüber gerade diese scheinbar unüberlegte Bemerkung gemacht hat

[23] Tatsächlich wird Knoll von Flitt auch einmal so genannt (III, 3).

[24] Auffällig ist hier der Kontrast zu Brentano und Arnim, die ja gerade in der Volksseele das Urwüchsige, Echte, Ursprüngliche, quasi eine alles vereinende Volksseele suchten, die sie, mit den Lied- und Volksgutsammlungen, gefunden zu haben glaubten, wenngleich sie selbst diese Volksseele mit eigenen Verbesserungen und Weiterdichtungen etwas salonfähiger zu machen versuchten.

[25] Die Maskerade wird genutzt, um ein Erkennen auf äußerlicher Ebene zu erschweren und lässt Adele ihre Entscheidung treffen, bevor sie weiß, wer sich wirklich hinter dem Sänger Florestin verbirgt. Auf diese Weise ist ihre Haltung eindeutiger, echter, verbindlicher und damit auch bindender; die Demaskierung des vermeintlich Unstandesgemäßen erscheint demgegenüber als eine Art Belohnung für ihre festen Vorsätze und die unbedingte Bereitschaft, sich an diese Vorsätze zu halten.

[26] Seit der Französischen Revolution 1789 hat der Adel mit der Säkularisierung (1803) zunächst eine Phase der Privilegienverluste und Enteignungen durchlebt, dann aber durch den Wiener Kongress (1815) auch eine Restauration des eigenen Standes erfahren, die erst ab 1848 durch sukzessives Außerkraftsetzen der traditionellen Adelsprivilegien Stück für Stück demontiert wurde.