Literaturepoche Gegenwart: 1968 bis heute

Von Andrea Fischer

Die Zeit von 1968 bis heute lässt sich nicht mehr unter einem prägenden Schlagwort zusammenfassen, wie noch vorangegangene Epochen. Es finden sich stattdessen gegenläufige Tendenzen, die geprägt sind von Reaktionen auf das Zeitgeschehen und dessen Verarbeitung sowie von Abgrenzungen und Weiterentwicklungen der verschiedenen literarischen Strömungen.

Zumal man auch von zwei Literaturen sprechen muss – die Literatur der Bundesrepublik als sog. westdeutsche Literatur und die Literatur der DDR.

Im Westen Deutschlands reagiert etwa die Literatur der 70er Jahre auf die Politisierung, die mit dem Jahr 68 und den Studentenrevolten einherging, mit einer zunehmenden Abwendung von politischen und zeitgeschichtlichen Themen und konzentriert sich stattdessen auf individuelle Erfahrungen und Erlebnisse. Auf diese oft als „neue Subjektivität“ bezeichnete Bewegung folgt erneut ein Erstarken von politischen und zeitgeschichtlichen Themen und in den 80er Jahren rückt wiederum Ästhetik von Texten in das Zentrum des Interesses.

Die Literatur der DDR lässt sich leichter kategorisieren: Es gibt die affirmative Literatur, deren Vertreter sich ganz dem Dienste am Staat und der sozialistischen Ideologie verschreiben und die Forderungen des sozialistischen Realismus erfüllen. Andere Schriftsteller hingegen, die meist zu Beginn der DDR in den 60er Jahren noch enthusiastisch in das Loblied über den Sozialismus einstimmten, durch zunehmende Desillusionierung und das Erleben des politischen Realität aber in einen Konflikt zwischen Anpassung und Verweigerung geraten, versuchen nun, sich von dieser Ideologie zu distanzieren und ringen um ein unabhängiges und die politische und künstlerische Repression reflektierendes Schreiben. Dabei setzen sie sich großen Risiken und politischer Verfolgung aus und viele ihrer Texte gelangen nur im Westen zur Veröffentlichung. Nur bedingt einordnen lässt sich hier der Erfolg von Ulrich Plenzdorf (1934-2007), der mit seiner auf Goethes Die Leiden des jungen Werthers anspielenden Erzählung Die neuen Leiden des jungen W. (1972) nicht nur in die Literaturgeschichte einging, sondern auch die Bühnen und die literarische Öffentlichkeit sowohl in West- als auch in Ostdeutschland eroberte, wo eine vorübergehende kulturpolitische Lockerung eine Duldung seines der sozialistischen Kunsttheorie widersprechenden Werkes ermöglichte. Ab den 80er Jahren verstärkt sich der Widerstand gegen Vereinnahmung durch den sozialistischen Staat und entsprechend einer gewissen politischen Entspannung erkennt man in formaler Hinsicht eine Tendenz zu verstärkter ästhetischer Emanzipation. Diese Texte von Autoren wie Günter de Bruyn (1926), Stefan Heym (1913-2001), Jurek Becker (1937-1997), Erich Loest (1926), Thomas Brasch (1945-2001), Klaus Poche (1927-2007) und Werner Heiduczek (1926) sind literarisch wertvoller und psychologisch glaubwürdiger als die staatsbejahende Literatur, die die Klischees des Sozialismus reproduziert und so nur leblose Literatur vorbringt.

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