Interpretation "Die Verwandlung" von Franz Kafka

Die Verwandlung des Gregor Samsa in ein Insekt gehört zu den bekanntesten plots der Weltliteratur. Sicherlich ist das Abstruse, durchaus surrealistisch Anmutende dieses Gegenstands ausschlaggebend gewesen für die außerordentliche Wirkung der 1915 erschienenen Erzählung. Doch es ist noch vielmehr die Radikalität von Kafkas literarischem Konzept, die Die Verwandlung zu einem Eckpunkt der Prosa der Moderne gemacht hat.

Verwandlungen von Menschen in Tiere sind an sich nichts Neues. Ob in der griechischen Mythologie, wo Zeus allerlei Tiergestalten annimmt, ob Mephistos Auftritt im Studierzimmer oder die zahlreichen phantastischen Metamorphosen bei E. T. A. Hoffmann – stets geht es um den Einbruch einer übernatürlichen Sphäre in die Wirklichkeitsebene. Dieser Aspekt fehlt bei Kafka gänzlich.

"Als Gregor Samsa eines Morgens aus unruhigen Träumen erwachte, fand er sich in seinem Bett zu einem ungeheueren Ungeziefer verwandelt."

Dieser Anfang irritiert den Leser durch den Kontrast zwischen der Ungeheuerlichkeit des Erzählten und der Lapidarität der Ezählweise. Die Irritation wird in der Folge um so stärker, als über den Vorgang selber weiter nichts berichtet wird. Er bleibt als unumstößliche, nicht weiter hinterfragbare Tatsache bestehen. Der Leser wartet bis zum Ende vergeblich auf eine wie auch immer geartete Erklärung oder Wendung. Dieser negative Spannungsbogen erzwingt geradezu eine erhöhte Aufmerksamkeit des Lesers. Er hofft auf die (Auf- oder Er-)Lösung ebenso wie Gregor Samsa, der seinen veränderten Zustand zwar zur Kenntnis nimmt, ihn jedoch zunächst hartnäckig für Einbildung hält: "er war gespannt, wie sich seine heutigen Vorstellungen allmählich auflösen würden." Auch seine Familie will keineswegs "jede Hoffnung auf Besserung" aufgeben.

Paradoxerweise drehen sich Gregors Gedanken jedoch nicht darum, wie er sich aus seinem Käfer-Dasein wieder befreien könnte. Diesbezüglich verhält er sich völlig passiv: "Und ein Weilchen lang lag er ruhig mit schwachem Atem, als erwarte er vielleicht von der völligen Stille die Wiederkehr der wirklichen und selbstverständlichen Verhältnisse." Gregor sorgt sich vielmehr darum, wie er seine Verspätung wiedergutmachen kann und den Prokuristen beschwichtigen soll – ganz so, als hätte er tatsächlich nur "ein leichtes Unwohlsein, ein[en] Schwindelanfall" erlitten. Der Leser nimmt an seinen Alltagsüberlegungen teil: "Zunächst wollte er ruhig und ungestört aufstehen, sich anziehen und vor allem frühstücken, und dann erst das Weitere überlegen, denn, das merkte er wohl, im Bett würde er mit dem Nachdenken zu keinem vernünftigen Ende kommen."

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