Biographie Theodor Fontane (Seite 5)
Anfang September 1855 tritt Fontane seinen dritten Englandaufenthalt an, der diesmal drei Jahre dauert. Zunächst arbeitet er wieder im Auftrag der preußischen Regierung, wechselt aber bald, nach Schwierigkeiten mit seinem Vorgesetzten, zur preußischen Botschaft, wo er als Presseattaché preußenfreundliche Artikel in englische Zeitungen lancieren soll. Zwischendurch reist er nach Berlin, wo am 2. November 1856 sein zweiter Sohn, Theodore Henry (genannt Theo) zur Welt kommt, und besichtigt Paris. Im Sommer 1857 gelingt es ihm, ein Haus in einem Londoner Vorort zu mieten, sodass seine Frau mit den beiden Söhnen zu ihm ziehen kann. Im August 1858 tritt Fontane mit Bernhard von Lepel eine Reise nach Schottland an, über die er in seinem 1860 erschienen Reisebuch Jenseits des Tweed berichten wird.
Anfang 1859 kehrt Fontane zurück nach Berlin – er ist jetzt vierzig Jahre alt und steht wieder einmal vor dem Problem des Broterwerbs. Eine Tätigkeit in der Zentralpressestelle, an der ausgewählte Jounalisten offiziell über die Politik der preußischen Regierung informiert werden, ist wegen einer gutgemeinten Indiskretion Fontanes nach wenigen Monaten wieder beendet. Am 21. März 1860 wird seine Tochter Martha, genannt Mete, geboren.
Erst als ein weiterer Tunnel-Freund, Georg Hesekiel, sich seiner annimmt, kommt es zu einer dauerhaften Stellung: Fontane wird am 1. Juni Redakteur der erzkonservativen Neuen Preußischen (Kreuz-)Zeitung. Seine Aufgabe: Er verfasst nach Lektüre von englischen Zeitungen Artikel über England, die möglichst so aussehen sollen, als seien sie von einem Auslandskorrespondenten an Ort und Stelle verfasst worden. Knapp 10 Jahre wird Fontane Redakteur bei der Kreuzzeitung bleiben. 1860 erscheinen Jenseits des Tweed und Aus England sowie ein Band Balladen, 1861 dann der erste Band der Wanderungen durch die Mark Brandenburg mit dem Titel Die Grafschaft Ruppin, 1863 der zweite Band mit dem Titel Oderland.
Die finanzielle Lage konsolidiert sich, die Familie Fontane kann sich jetzt eine jährliche Sommerfrische leisten. 1864 wird der letzte Sohn Friedrich (Friedel) geboren. Mitte der sechziger Jahre beginnt Fontane mit Entwürfen zu seinem ersten Roman Vor dem Sturm, Ende 1865 erscheint sein Kriegsbuch Der Schleswig-Holsteinische Krieg im Jahr 1864, 1870 der erste Band von Der deutsche Krieg von 1866.
Im Frühjahr 1870 kündigt Fontane bei der Kreuzzeitung und findet im Sommer eine neue journalistische Tätigkeit, die ihm erheblich mehr zusagt und die er bis Anfang der 90er Jahre fortführen wird: Er wird Theaterkritiker bei der liberalen und auflagestarken Vossischen Zeitung.
»Ich hätte nicht gedacht, daß die Stadt – deren rein äußerliches Leben und Treiben ich wenigstens kannte – mich wiederum so mächtig bewegen würde und noch in diesem Augenblick brauch’ ich nur nach den Verbindungsstraßen zwischen City und Westend zu eilen, um urplötzlich meine Sorgen von mir genommen zu sehn.«
Fontane an seine Mutter, 28. April 1852
»London hat einen unvertilgbaren Eindruck auf mich gemacht; nicht sowohl seine Schönheit als seine Großartigkeit hat mich staunen lassen. Es ist das Modell oder die Quintessenz einer ganzen Welt. Der mehrerwähnte Umstand, daß London mehr Nachtwächter (zwölftausend) hat als das Königreich Sachsen Soldaten, ist am ehesten geeignet, eine Vorstellung von den Dimensionen dieser Riesenstadt zu geben.«
Aus ‘Englische Tagebücher’.
»Ohne Vermögen, ohne Familienanhang, ohne Schulung und Wissen, ohne robuste Gesundheit bin ich ins Leben getreten, mit nichts ausgerüstet als einem poetischen Talent und einer schlechtsitzenden Hose.«
Brief an Georg Friedländer, 3. Oktober 1893
»Ich blieb bis kurz vor dem Siebziger Krieg in meiner Kreuzzeitungs-Stellung und muß diese zehn Jahre zu meinen allerglücklichsten rechnen.«
Aus ‘Von Zwanzig bis Dreißig’
»Wenn ich noch dazu komme, das Buch zu schreiben, so habe ich nicht umsonst gelebt und kann meine Gebeine ruhig schlafen legen.«
Tagebucheintrag vom 19. August 1856
»Denn man bilde sich nur nicht ein, daß ein Theaterkritiker ein Richter ist, weit öfter ist er ein Angeklagter. ‘Da sitzt dieses Scheusal wieder’ habe ich sehr oft auf den Gesichtern gelesen.«
Aus ‘Kritische Jahre – Kritiker-Jahre’
Fontanes Theater-Kritiken zeigen ihn als klarsichtigen, unvoreingenommenen und zugleich unterhaltenden Beobachter der Bühne. Er scheute sich nicht, 1871 für einen Skandal zu sorgen, als er das Stück Der Gefangene von Metz des hochangesehenen Karl Gutzkow verriß (»Schlecht ist schlecht, und es muß gesagt werden«), und erntete andererseits Befremden durch seine positive Aufnahme der naturalistischen Dramen Gerhart Hauptmanns (Vor Sonnenaufgang) und Arno Holz’/Johannes Schlafs (Die Familie Selicke), deren ungeschminkte Darstellung des sozialen Elends in bürgerlichen Kreisen heftigen Anstoß erregten.