Ungekürztes Werk "Die Karawane" von Wilhelm Hauff

Wilhelm Hauff

Die Karawane

Die Geschichte vom Kalif Storch

Erster – fünfter Abschnitt

Die Geschichte vom Gespensterschiff

Die Geschichte von der abgehauenen Hand

Die Errettung Fatmes

Die Geschichte vom Kleinen Muck

Das Märchen vom falschen Prinzen


Die Karawane

Es zog einmal eine große Karawane durch die Wüste. Auf der ungeheuren Ebene, wo man nichts als Sand und Himmel sieht, hörte man schon in weiter Ferne die Glocken der Kamele und die silbernen Röllchen der Pferde; eine dichte Staubwolke, die ihr vorherging, verkündete ihre Nähe, und wenn ein Luftzug die Wolke teilte, blendeten funkelnde Waffen und helleuchtende Gewänder das Auge.

So stellte sich die Karawane einem Manne dar, welcher von der Seite her auf sie zuritt. Er ritt ein schönes arabisches Pferd, mit einer Tigerdecke behängt; an dem hochroten Riemenwerk hingen silberne Glöckchen, und auf dem Kopf des Pferdes wehte ein schöner Reiherbusch. Der Reiter sah stattlich aus, und sein Anzug entsprach der Pracht seines Rosses: ein weißer Turban, reich mit Gold bestickt, bedeckte das Haupt; der Rock und die weiten Beinkleider waren von brennendem Rot; ein gekrümmtes Schwert mit reichem Griff hatte er an seiner Seite. Er hatte den Turban tief ins Gesicht gedrückt; dies und die schwarzen Augen, die unter buschigen Brauen hervorblitzten, sowie der lange Bart, der unter der gebogenen Nase herabhing, gaben ihm ein wildes, kühnes Aussehen.

Als der Reiter ungefähr auf fünfzig Schritte dem Vortrab der Karawane nahe war, spornte er sein Pferd an und war in wenigen Augenblicken an der Spitze des Zuges angelangt. Es war ein so ungewöhnliches Ereignis, einen einzelnen Reiter durch die Wüste ziehen zu sehen, daß die Wächter des Zuges, einen Überfall befürchtend, ihm ihre Lanzen entgegenstreckten.

»Was wollt ihr?« rief der Reiter, als er sich so kriegerisch empfangen sah. »Glaubt ihr, ein einzelner Mann werde eure Karawane angreifen?«

Beschämt schwangen die Wächter ihre Lanzen wieder auf; ihr Anführer aber ritt an den Fremden heran und fragte nach seinem Begehr.

»Wer ist der Herr der Karawane?« fragte der Reiter.

»Sie gehört nicht einem Herrn«, antwortete der Gefragte, »sondern es sind mehrere Kaufleute, die von Mekka in ihre Heimat ziehen und die wir durch die Wüste geleiten, weil oft allerlei Gesindel die Reisenden beunruhigt.«

»So führt mich zu den Kaufleuten«, begehrte der Fremde.

»Das kann jetzt nicht geschehen«, antwortete der Führer, »weil wir ohne Aufenthalt weiterziehen müssen und die Kaufleute wenigstens eine Viertelstunde weiter hinten sind. Wollt Ihr aber mit mir weiterreiten, bis wir lagern, um Mittagsruhe zu halten, so werde ich Eurem Wunsche willfahren.«

Der Fremde sagte hierauf nichts; er zog eine lange Pfeife, die er am Sattel festgebunden hatte, hervor und fing an, in großen Zügen zu rauchen, indem er neben dem Anführer des Vortrabs weiterritt. Dieser wußte nicht, was er aus dem Fremden machen sollte; er wagte es nicht, ihn geradezu nach seinem Namen zu fragen, und so kunstvoll er auch ein Gespräch anzuknüpfen suchte – der Fremde hatte auf das: »Ihr raucht da einen guten Tabak«, oder: »Euer Rapp' hat einen braven Schritt«, immer nur mit einem kurzen »Ja, ja!« geantwortet.

Endlich waren sie auf dem Platz angekommen, wo man Mittagsruhe halten wollte. Der Anführer

Seiten