Ungekürztes Werk "Ledwina" von Annette von Droste-Hülshoff

Annette von Droste-Hülshoff

Ledwina

Romanfragment

(Hülshoff 1819–1824)

Der Strom zog still seinen Weg und konnte keine der Blumen und Zweige aus seinem Spiegel mitnehmen. Nur eine Gestalt, wie die einer jungen Silberlinde, schwamm langsam seine Fluten hinauf; es war das schöne bleiche Bild Ledwinens, die von einem weiten Spaziergange an seinen Ufern heimging. Wenn sie zuweilen halb ermüdet, halb sinnend stillstand, dann konnte er keine Strahlen stehlen, auch keine helleren oder milderen Farbenspiele von ihrer jungen Gestalt; denn sie war so farblos wie eine Schneeblume, und selbst ihre lieben Augen waren wie ein paar verblichene Vergißmeinnicht, denen nur Treue geblieben, aber kein Glanz.

»Müde, müde«, sagte sie leise und ließ sich langsam nieder in das hohe, grüne Ufergras, daß es sie umstand, wie die grüne Einfassung ein Lilienbeet. Eine angenehme Frische zog durch alle ihre Glieder, daß sie die Augen vor Lust schloß, als ein krampfhafter Schmerz sie auftrieb. Im Nu stand sie aufrecht, die eine Hand auf die kranke Brust gepreßt, und schüttelte unwillig ob ihrer Schwäche das blonde Haupt, wandte sich rasch wie zum Fortgehn und kehrte dann fast wie trotzend zurück, trat dicht an das Ufer und schaute anfangs hell, dann träumend in den Strom.

Ein großer, aus dem Flusse ragender Stein sprühte bunte Tropfen um sich, und die Wellchen strömten und brachen sich so zierlich, daß das Wasser hier wie mit einem Netze überzogen schien und die Blätter der am Ufer neigenden Zweige im Spiegel wie grüne Schmetterlinge davonflatterten. Ledwines Augen aber ruhten aus auf ihrer eigenen Gestalt, wie die Locken von ihrem Haupte fielen und forttrieben, ihr Gewand zerriß und die weißen Finger sich ablösten und verschwammen.

Da wurde ihr, als ob sie wie tot sei und die Verwesung lösend ihre Glieder treffe und jedes Element das Seinige mit sich fortreiße.

»Dummes Zeug!« sagte sie, sich schnell besinnend, und bog, mit einem scharfen Zug in den milden Mienen, auf die dicht am Flusse hinlaufende Heerstraße, indem sie das Auge durch das weite, leere Feld nach heiteren Gegenständen aussandte.

Ein wiederholtes Pfeifen vom Strome her blieb von ihr unbemerkt, und als daher bald darauf ein großer schwarzer Hund mit vorgestrecktem Kopfe quer über den Anger gerade auf sie einrannte, flüchtete sie, von einem großen Schrecken ergriffen, mit einem Schrei auf den Strom zu und, da das Tier ihr auf den Fersen folgte, mit ebenen Füßen hinein. »Pst, Sultan!« rief es neben ihr, und zugleich fühlte sie sich von zwei unzarten Händen gefaßt und ans Ufer gesetzt. Sie wandte sich noch ganz betäubt und erschreckt um.

Vor ihr stand ein großer vierschrötiger Mann, den sie an einem Hammel, der ihm wie ein Palatin um den Hals hing, als einen Fleischer erkannte. Beide betrachteten sich eine Weile, indem das Gesicht des Mannes in die offenbarste, mit Verdruß gemischte Ironie überging.

»Was springt Sie denn so?«stieß er endlich heraus.

»Ach Gott«, sagte Ledwina ganz beschämt, »ich dachte, das Tier wäre toll.«

»Wer? mein Hund?« sagte der Kerl beleidigt; »der ist ja nicht mal bös, der hat niemals keinen gebissen.«

Ledwina sah auf den Hund, der nun ganz verständig wie eine

Seiten