Ungekürztes Werk "Ledwina" von Annette von Droste-Hülshoff (Seite 4)

sie gern diese ganze in Funken verglimmende Lebenskraft in einem einzigen recht lohhellen Tage hätte ausflammen lassen. Ihr frommes Gemüt behielt auch hier die Oberhand über den sichtbar auflodernden Geist, aber noch nie hat wohl ein Märtyrer Gott sein Leben reiner und schmerzlicher geopfert wie Ledwina dem schönen Tod in der eigenen Geistesflamme.

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Im hellen Wohnzimmer mußte es etwas anders wie immer sein, da Ledwina eintrat; denn sie ward gar nicht gescholten, die gewöhnliche bittere Frucht der ihr so süßen, aber den so abgezehrten Körper zerrüttenden Streifereien.

Schwester Therese hatte freilich genug nach einer entfallenen Nähnadel zu fischen, aber auch die Mutter sagte nichts, strickte still fort und winkte stark mit den Augenlidern; das war immer ein besonderes Zeichen; dann war sie erzürnt oder gerührt oder gar verlegen; denn diese kluge Frau, der ein allgemein beachtetes und oft verwickeltes Leben eine völlige Herrschaft über alle unpassenden Ausbrüche innerer Bewegungen in Handlungen und Worten gesichert hatte, wußte selbst nicht, wie dünn der Schleier ihres Antlitzes über die Seele hing, und es bedurfte für gesunde, ob auch ungeübte Augen nur sehr geringer Bekanntschaft, um sie oft besser zu verstehen, als sie sich selbst in ihrer vielfachen Zerstreuung durch Haus und Kinder. Ledwina hätte sich gern ganz still der Gesellschaft eingeflickt, aber ihre Arbeit lag in der Schublade des Tisches, vor dem die Mutter saß; das war schlimm. Sie setzte sich indes ganz sachte in den Sofa, der an der Schattenseite des Zimmers stand, und sagte kein Wort. Die kleine Marie lief herein und mit einem lauten, etwas albernen Gelächter auf Ledwina los: »Ledwina, weißt du schon die ganz berühmte Neuigkeit?«

Ledwina verfärbte sich wie erschreckt in unnatürlich gespannter Erwartung, und die Mutter sagte rasch: »Marie, hol mir mein Schnupftuch, ich habe es im Garten bei den Tannen liegen lassen!« Marie drehte sich auf dem Fuße um, sagte aber noch: »Wenn ich wiederkomme, weißt du es längst; denn Therese springt das Herz, wenn sie es nicht sagt.«

Sie lachte laut auf und rannte etwas tölpisch hinaus.

»Ihr müßt euch mit dem Kinde in acht nehmen«, sagte die Mutter ernst; »Kinderohren sind bekanntlich die schärfsten und wir Erwachsenen oft wahrhaft ruchlos in dieser Hinsicht. Bei Marie ist es zum Glück nur Impertinenz, kein erwachendes vorlautes Gefühl, was im besten Falle die Seele leer brennt.«

»Karl« (sie wandte sich zu Ledwinen) »hat heute Briefe erhalten, woraus unter anderm erhellt, daß einer seiner Universitätsbekannten ihn vielleicht auf der Durchreise besuchen wird. Du hast ihn wohl nennen hören, Römfeld, der sogenannte schöne Graf. Karl hat zuweilen allerhand von ihm erzählt, was ganz romantisch lautete, und ihr seid unvorsichtig genug gewesen, euch mit ihm zu necken; ich lasse so etwas passieren, obgleich es überall nicht viel heißt. Ich denke, wenn das Böse nur ausbleibt, so muß man sich zuweilen in das Unnütze in Gottes Namen schicken. Ich muß gestehn, daß ich alsdann so wenig an Marie gedacht habe wie ihr; aber vorausgesetzt, daß dergleichen dunkle Dinge in ihrem noch höchst kindlichen Gemüte keinen weiteren Eindruck hinterlassen, wie soll man ihr beibringen, daß sie

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