Ungekürztes Werk "Ledwina" von Annette von Droste-Hülshoff (Seite 3)
die Stuhllehne. Ledwina, die sich durch eine Art Krankenstolzes selten in dieser Art etwas zugute tat, lachte ordentlich vor Vergnügen, da es ihr so bequem wurde.
»Erzählt mir etwas von vorigen Zeiten, da Ihr auf dem Schlosse wohntet«, sagte sie freundlich; und die Frau hub an zu erzählen von dem seligen Großpapa, und wie der Turm noch gestanden, der vor vielen Jahren niedergebrannt, und immer tiefer neigte sich Ledwinens Haupt, und immer deutlicher gestaltete sich, was sie noch je zuweilen von den Worten der Erzählenden vernahm, daß sie den Großvater sah wie ein kleines, graues Männchen, gar freundlich; tot war er freilich, aber er schoß doch noch mit seiner Vogelflinte nach den Raben im alten Turm, es knallte gar nicht, aber sie fielen recht gut – und immer leiser und leiser wurden die Laute der Alten, die von Zeit zu Zeit ihr Fräulein hinter dem Rocken hervor betrachtete, bis sie endlich auch ganz einschlief.
Dann stand sie sachte auf, trippelte auf den Zehen zu Ledwina und beugte sich langsam über sie, ihren Schlummer prüfend.
Es war rührend zu sehen, wie das ernste, alte Gesicht der Bäuerin über dem jungen, bleichen der Herrin stand, das eine in stiller Traumeswehmut, das andere in den Tiefen des unabwendbaren nahen Vergehens für beide, die reife, lebenssatte Ähre über der zarten, sonnenversengten Blüte.
Dann hob sie sich, holte still Flachs aus einem Wandschranke und begann ihn sehr leise zu bürsten; aber ihre Züge waren ernster wie vorhin, doch sehr weich.
So dauerte es eine Weile, als die Tür ziemlich unsanft geöffnet ward und mit den Worten: »Mutter, hier bring ich Euch einen neuen Stuhl«, ihr Sohn mit einigem polternden Anstande einen im geheimen für sie verfertigten Spinnstuhl hereinbrachte; »der andere ist Euch ja doch zu hoch«, fuhr er fort.
Die Mutter winkte unwillig mit der Hand, indem sie auf Ledwina deutete, aber diese war schon erwacht und sah ganz hell und erquickt um sich.
»Ei, so wollt ich dich –!« fuhr die Alte heraus.
»Ich habe sehr sanft geschlafen bei Eurem Feuer«, sagte das Fräulein sehr freundlich; »es ist aber doch gut, daß ich geweckt bin, sonst hätt ich nachtwandeln müssen. Ich meine«, fuhr sie lächelnd fort, da die beiden sie fragend anblickten, »wenn ich am Tage ruhe, so habe ich in der Nacht keinen Schlaf; da stehe ich dann wohl zuweilen auf und gehe in meiner Stube umher; es ist nicht zum besten, aber was soll man mit der langen Nacht machen? Es wird bald fünf sein, nun wirds meine Zeit, zu gehen«, und wie sie durch die Türe ging: »Den Stuhl hat wohl Euer Sohn gemacht, der ist doch recht geschickt.«
»Auch bisweilen recht ungeschickt«, sprach die Alte, der der Ärger noch nicht aus den Gliedern wollte; aber schon war Ledwina wie eine Gazelle den Fluß hinauf; denn sie dachte nur dann an ihre arme kranke Brust, wenn heftige Schmerzen sie daran erinnerten, und dann war ihr dieses traurige Hüten, dieses erbärmliche, sorgfältige Leben, wo der Körper den Geist regiert, bis er siech und armselig wird wie er selber, so verhaßt, daß