Ungekürztes Werk "Der Scheich von Alexandria und seine Sklaven" von Wilhelm Hauff

Wilhelm Hauff

Der Scheich von Alexandria und seine Sklaven

Inhalt

Der Zwerg Nase

Abner, der Jude, der nichts gesehen hat

Der junge Engländer

Die Geschichte Almansors

Der Scheich von Alexandria und seine Sklaven

Der Scheich von Alexandria, Ali Banu, war ein sonderbarer Mann. Wenn er morgens durch die Straßen der Stadt ging, angetan mit einem Turban, aus den köstlichsten Kaschmirs gewunden, mit dem Festkleide und dem reichen Gürtel, der fünfzig Kamele wert war, wenn er einherging langsamen, gravitätischen Schrittes, seine Stirn in finstere Falten gelegt, seine Augenbrauen zusammengezogen, die Augen niedergeschlagen und alle fünf Schritte gedankenvoll seinen langen schwarzen Bart streichend – wenn er so hinging nach der Moschee, um, wie es seine Würde forderte, den Gläubigen Vorlesungen über den Koran zu halten, da blieben die Leute auf der Straße stehen, schauten ihm nach und sprachen zueinander: »Er ist doch ein schöner, stattlicher Mann …«

»Und reich; ein reicher Herr«, setzte wohl ein anderer hinzu; »sehr reich. Hat er nicht ein Schloß am Hafen von Stambul? Hat er nicht Güter und Felder und viele tausend Stück Vieh und viele Sklaven?«

»Ja«, sprach ein dritter, »und der Tatar, der letzthin von Stambul her, vom Großherrn selbst – den der Prophet segnen möge –, an ihn geschickt kam, der sagte mir, daß unser Scheich sehr in Ansehen stehe beim Reis-Effendi, beim Kapidschi-Baschi, bei allen – ja beim Sultan selbst.«

»Ja«, rief ein vierter, »seine Schritte sind gesegnet. Er ist ein reicher, vornehmer Herr, aber – aber – ihr wißt, was ich meine!«

»Ja, ja«, murmelten dann die andern dazwischen, »es ist wahr, er hat auch sein Teil zu tragen; möchten nicht mit ihm tauschen; ist ein reicher, vornehmer Herr, aber, aber –«

Ali Banu hatte ein herrliches Haus auf dem schönsten Platz von Alexandria. Vor dem Hause war eine weite Terrasse mit Marmor ummauert, beschattet von Palmbäumen. Dort saß er oft abends und rauchte seine Wasserpfeife. In ehrerbietiger Entfernung harrten dann zwölf reichgekleidete Sklaven seines Winkes; der eine trug seinen Betel, der andere hielt seinen Sonnenschirm, ein dritter hatte Gefäße von gediegenem Golde, mit köstlichem Sorbett angefüllt, ein vierter trug einen Wedel von Pfauenfedern, um die Fliegen aus der Nähe des Herrn zu verscheuchen; andere waren Sänger und trugen Lauten und Blasinstrumente, um ihn zu ergötzen mit Musik, wenn er es verlangte, und der gelehrteste von allen trug mehrere Rollen, um ihm vorzulesen.

Aber sie harrten vergeblich auf seinen Wink; er verlangte nicht Musik noch Gesang, er wollte keine Sprüche oder Gedichte weiser Dichter der Vorzeit hören, er wollte keinen Sorbett zu sich nehmen noch Betel kauen; ja selbst der mit dem Fächer aus Pfauenfedern hatte vergebliche Arbeit, denn der Herr bemerkte es nicht, wenn ihn eine Fliege summend umschwärmte.

Da blieben oft die Vorübergehenden stehen, staunten über die Pracht des Hauses, über die reichgekleideten Sklaven und über die Bequemlichkeiten, womit alles versehen war; aber wenn sie dann den Scheich ansahen, wie er so ernst und düster unter den Palmen saß, seine Augen nirgends hinwandte als auf die bläulichen Wölkchen seiner Wasserpfeife, da schüttelten sie die Köpfe und sprachen: »Wahrlich,

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