Ungekürztes Werk "Der Scheich von Alexandria und seine Sklaven" von Wilhelm Hauff (Seite 3)
Euch an, daß wir die Lebensart des Scheichs tadeln?«
»Wenn einer etwas besser weiß als der andere, so berichtige er seinen Irrtum, so will es der Prophet«, erwiderte der alte Mann. »Der Scheich – es ist wahr – ist gesegnet mit Schätzen und hat alles, wonach das Herz verlangt, aber er hat Ursache, ernst und traurig zu sein. Meint ihr, er sei immer so gewesen? Nein, ich habe ihn noch vor fünfzehn Jahren gesehen, da war er munter und rüstig wie die Gazelle und lebte fröhlich und genoß sein Leben. Damals hatte er einen Sohn, die Freude seiner Tage, schön und gebildet, und wer ihn sah und sprechen hörte, mußte den Scheich beneiden um diesen Schatz, denn er war erst zehn Jahre alt, und doch war er schon so gelehrt wie ein anderer kaum im achtzehnten.«
»Und er ist ihm gestorben? Der arme Scheich!« rief der junge Schreiber.
»Es wäre tröstlich für ihn zu wissen, daß er heimgegangen ist in die Wohnungen des Propheten, wo er besser lebte als hier in Alexandria; aber das, was er erfahren mußte, ist viel schlimmer. Es war damals die Zeit, wo die Franken wie hungrige Wölfe herüberkamen in unser Land und Krieg mit uns führten. Sie hatten Alexandria überwältigt und zogen von da aus weiter und immer weiter und bekriegten die Mamelucken.
Der Scheich war ein kluger Mann und wußte sich gut mit ihnen zu vertragen. Aber sei es, weil sie lüstern waren nach seinen Schätzen, sei es, weil er sich seiner gläubigen Brüder annahm – ich weiß es nicht genau –, kurz, sie kamen eines Tages in sein Haus und beschuldigten ihn, die Mamelucken heimlich mit Waffen, Pferden und Lebensmitteln unterstützt zu haben. Er mochte seine Unschuld beweisen, wie er wollte, es half nichts, denn die Franken sind ein rohes, hartherziges Volk, wenn es darauf ankommt, Geld zu erpressen. Sie nahmen also seinen jungen Sohn, Kairam geheißen, als Geisel in ihr Lager. Er bot ihnen viel Geld für ihn, aber sie gaben ihn nicht los und wollten ihn zu noch höherem Gebot steigern.
Da kam ihnen auf einmal von ihrem Bassa – oder was er war – der Befehl, sich einzuschiffen. Niemand in Alexandria wußte ein Wort davon, und – plötzlich waren sie auf der hohen See, und den kleinen Kairam, Ali Banus Sohn, schleppten sie wohl mit sich, denn man hat nie wieder etwas von ihm gehört.«
»Oh, der arme Mann, wie hat ihn doch Allah geschlagen!« riefen einmütig die jungen Leute und schauten mitleidig hin nach dem Scheich, der, umgeben von Herrlichkeit, trauernd und einsam unter den Palmen saß.
»Sein Weib, das er sehr geliebt hat, starb ihm aus Kummer um ihren Sohn. Er selbst aber kaufte sich ein Schiff, rüstete es aus und bewog den fränkischen Arzt, der dort unten am Brunnen wohnt, mit ihm nach Frankistan zu reisen, um den verlorenen Sohn zu suchen. Sie schifften sich ein und waren lange Zeit auf dem Meere und kamen endlich in das Land jener Giaurs, jener Ungläubigen, die in Alexandria gewesen waren.
Aber dort soll es gerade schrecklich zugegangen