Biographie Franz Kafka (Seite 6)

Felice Bauer – Tochter eines Versicherungsagenten – ist den Zeugnissen nach eine unkomplizierte, lebenslustige und praktisch veranlagte junge Frau, die mit ihren Eltern in Berlin lebt. Als Kafka sie 1912 auf einer Gesellschaft bei Max Brod kennenlernt, arbeitet sie gerade als Prokuristin in einer Firma, die Diktiergeräte und sogenannte ,Parlographen' herstellt. Zwischen den beiden auch äußerlich grundverschiedenen Menschen entfaltet sich binnen weniger Wochen ein exorbitanter Briefwechsel, der mit kurzen Unterbrechungen fünfeinhalb Jahre anhält und dessen eine – Kafkasche – Hälfte uns erhalten geblieben ist. Felice Bauer hat offenbar wenig Sinn für die Skrupel und literarischen Ambitionen ihres Briefpartners, was Kafka aber nicht davon abhält, ihr alle diese Skrupel und Pläne minutiös auseinanderzulegen. Bald werden sie vertraut miteinander, doch eigentlich niemals intim, auch als sie schon ein Paar waren. Das liegt wesentlich daran, dass sich diese (Liebes-)Geschichte fast ausschließlich auf dem Papier abspielt – Kafka schickt mitunter dreimal täglich einen Brief oder eine Karte los, ohne die Antworten abzuwarten. Gesehen haben sich die beiden Liebesleute lediglich einige Male in Berlin, in Prag, in der Böhmischen Schweiz und während eines kurzen gemeinsamen Aufenthaltes in Marienbad; körperlichen Kontakt dürften sie wohl so gut wie keinen miteinander gehabt haben – am 6. Juli 1916 notierte Kafka in sein Tagebuch: "Arme F. [..]. Unglückliche Nacht. Unmöglichkeit, mit F. zu leben. Unerträglichkeit des Zusammenlebens mit irgend jemandem." Vage Illusion eines Menschen, an den er sich regelmäßig schriftlich wenden kann. Was er an Felice bewundert, sind ihre Geduld, ihre Güte und Stärke, ihre Gesundheit und praktische Veranlagung, doch als Frau findet er sie unerotisch – er zieht es daher vor, in zahllosen, teils episch angelegten Briefen zu schmachten, zu jammern, zu säuseln oder sich zu rechtfertigen; er räsonnierteüber die gemeinsame Zukunft und setzt immer wieder seine eigene Person herab.

Fast ein ganzes Jahr vor der ersten Verlobung richtet sich Kafka brieflich an Felices Vater, Herrn Carl Bauer: Von Hochzeit muss bereits die Rede gewesen sein, denn er stellt sich nochmals offiziell vor und hält nicht etwa um die Hand der Tochter an, sondern breitet sich vielmehr über die Gründe aus, weshalb es zu dieser Verbindung niemals kommen sollte – er sei von der Literatur besessen und würde Felice unglücklich machen:

Felice Bauer und Franz Kafka, kurz nach der zweiten Verlobung
Felice Bauer und Franz Kafka, kurz nach der zweiten Verlobung

»Zusammenstellung alles dessen, was für und gegen meine Heirat spricht:
1. Unfähigkeit, allein das Leben zu ertragen, [...]. Die Verbindung mit F. wird meiner Existenz mehr Widerstandskraft geben.
2. [...] Gestern sagte meine Schwester: ?Alle Verheirateten (unserer Bekanntschaft) sind glücklich, ich begreife es nicht?, auch dieser Ausspruch gab mir zu denken, ich bekam wieder Angst.
3. Ich muß viel allein sein. Was ich geleistet habe, ist nur ein Erfolg des Alleinsein.
4. Alles, was sich nicht auf Literatur bezieht, hasse ich, es langweilt mich, Gespräche zu führen […], es langweilt mich, Besuche zu machen, Leiden und Freuden meiner Verwandten langweilen mich in die Seele hinein. [...]
5. Die Angst vor der Verbindung, dem Hinüberfließen. Dann bin ich nie mehr allein.
6. Ich bin vor meinen Schwestern, [...] oft ein ganz anderer Mensch gewesen als vor anderen Leuten. Furchtlos, bloßgestellt, mächtig, überraschend, ergriffen wie sonst nur beim Schreiben. Wenn ich es durch Vermittlung meiner Frau vor allen sein könnte! Wäre es dann aber nicht dem Schreiben entzogen? Nur das nicht, nur das nicht!
7. Allein könnte ich vielleicht einmal meinen Posten wirklich aufgeben. Verheiratet wird es nie möglich sein.«

Tagebucheintrag vom 21. Juli 1913

Einer der zahllosen Briefe des Vizesekretärs Franz Kafka aus Prag
Einer der zahllosen Briefe des Vizesekretärs Franz Kafka aus Prag, mit denen er sich die Liebe von Felice Bauer, Prokuristin der Firma Lindström in Berlin, erschrieb.

»Wie wenig nützt die Begegnung im Brief, es ist wie ein Plätschern am Ufer, zweier durch ein See Getrennter.«
An Hedwig Weiler, 29. August 1907

»Du gehörst zu mir, ich habe Dich zu mir genommen; ich kann nicht glauben, daß in irgendeinem Märchen um irgendeine Frau mehr und verzweifelter gekämpft worden ist als um Dich in mir, seit dem Anfang und immer von neuem und vielleicht für immer.«
An Felice, 19. Oktober 1916