Biographie Johann Wolfgang Goethe (Seite 3)

Am folgenreichsten ist seine Begegnung mit dem Literaten und Geistlichen Johann Gottfried Herder. Er macht Goethe mit der antirationalistischen Gedankenwelt des Philosophen Johann Georg Hamann bekannt, weiß ihn für Shakespeare und Ossian zu begeistern und lenkt seine Aufmerksamkeit auf den ästhetischen Reiz der Volkspoesie. In Straßburg kommt er auch mit dem Arzt und Schriftsteller Johann Heinrich Jung-Stilling und dem Dramatiker Jakob Michael Reinhold Lenz zusammen. In diesem Kreis bilden sich die entscheidenden Ideen der Sturm-und-Drang-Bewegung heraus.

Nicht minder wichtig als dieser intellektuelle Austausch ist in Goethes Straßburger Zeit die Liebe zu Friederike Brion, der Tochter eines Landgeistlichen in Sesenheim. Der idyllische, naturnahe Lebensraum des Pfarrhauses trägt wohl mit dazu bei, dass ein Strom lyrischer Produktion einsetzt, der sich von der literarischen Konvention zugunsten einer Sprache der echten Empfindung löst. Willkommen und Abschied, Mailied und Heidenröslein sind die bekanntesten Gedichte aus dieser Zeit.

Doch vermag ihn die ländliche Idylle auf Dauer nicht zu fesseln; immer stärker wird der Wunsch nach neuen Erfahrungen und verantwortlicher Tätigkeit. Am 4. August 1771 schließt Goethe sein Studium mit dem Grad eines Lizentiaten der Rechte ab und kehrt nach Frankfurt zurück. Die Beziehung zu Friederike Brion löst er brieflich.

Rechtsanwalt. Frankfurt, Wetzlar. 1771 – 1775
In seiner Heimatstadt wird Goethe Rechtsanwalt beim Schöffengericht, wo er – mit einem Zwischenspiel in Wetzlar – vier Jahre lang bleibt. Doch beschäftigt er sich weiterhin intensiv mit der Literatur und schreibt bereits 1771 die programmatische Rede Zum Schäkespears Tag und als ersten großen dramatischen Wurf die Urfassung des Götz von Berlichingen mit der eisernen Hand.

1772 geht Goethe ans Reichskammergericht nach Wetzlar, um als Praktikant seine juristischen Kenntnisse zu erweitern. Hier befreundet er sich mit dem Gesandtschaftssekretär Johann Christian Kestner und dessen Braut Charlotte Buff. Seine Sympathie für Lotte steigerte sich zur maßlosen Leidenschaft, so dass er bereits im September wieder nach Frankfurt zurückkehrt, um die Spannungen nicht eskalieren zu lassen. Diese Erfahrung einer aussichtslosen Liebe bildet das biographische Substrat für Goethes zweites großes Werk, den Roman Die Leiden des jungen Werthers, der 1774 im Druck erscheint. Mit diesem Roman und dem Drama Götz von Berlichingen, das im selben Jahr in der zweiten, überarbeiteten Fassung erscheint, gelingt dem erst 24-jährigen Goethe der Durchbruch zum Ruhm. Nicht minder berühmt werden seine Hymnen aus dieser Zeit, allen voran Prometheus, das als das Sturm-und-Drang-Gedicht schlechthin gilt.

 Johann Gottfried Herder. Gemälde von Friedrich August Tischbein, 1795
Johann Gottfried Herder. Gemälde von Friedrich August Tischbein, 1795

»Gleich unten an der Treppe fand ich einen Mann, der eben auch hinaufzusteigen im Begriff war und den ich für einen Geistlichen halten konnte. Sein gepudertes Haar war in eine runde Locke aufgesteckt, das schwarze Kleid bezeichnete ihn gleichfalls, mehr noch aber ein langer schwarzer seidner Mantel, dessen Ende er zusammengenommen und in die Tasche gesteckt hatte. [...] Er hatte etwas Weiches in seinem Betragen, das sehr schicklich und anständig war, ohne daß es eigentlich adrett gewesen wäre. Ein rundes Gesicht, eine bedeutende Stirn, eine etwas stumpfe Nase, einen etwas aufgeworfenen, aber höchst individuell angenehmen, liebenswürdigen Mund. Unter schwarzen Augenbrauen ein Paar kohlrabenschwarze Augen, die ihre Wirkung nicht verfehlten, obgleich das eine rot und entzündet zu sein pflegte.«

‘Dichtung und Wahrheit’, 2. Teil, 10. Buch

Radierung von Daniel Nikolaus Chodowiecki zur zitierten Szene in Jung-Stillings Buch.
Radierung von Daniel Nikolaus Chodowiecki zur zitierten Szene in Jung-Stillings Buch.

»Unter den neuen Ankömmlingen befand sich ein Mann, der mich besonders interessierte; er hieß Jung und ist derselbe, der nachher unter dem Namen Stilling zuerst bekannt geworden. Seine Gestalt, ungeachtet einer veralteten Kleidungsart, hatte, bei einer gewissen Derbheit, etwas Zartes. Eine Haarbeutel-Perücke entstellte nicht sein bedeutendes und geselliges Gesicht. Seine Stimme war sanft, ohne weich und schwach zu sein, ja sie wurde wohltönend und stark, sobald er in Eifer geriet, welches sehr leicht geschah. Wenn man ihn näher kennenlernte, so fand man an ihm einen gesunden Menschenverstand, der auf dem Gemüt ruhte und sich deswegen von Neigungen und Leidenschaften bestimmen ließ, und aus eben diesem Gemüt entsprang ein Enthusiasmus für das Gute, Wahre, Rechte in möglichster Reinheit.«

‘Dichtung und Wahrheit’, 2. Teil, 9. Buch

»Besonders kam einer mit großen hellen Augen, prachtvoller Stirn, und hellem Wuchs, muthig ins Zimmer. Dieser zog Herrn Troosts und Stillings Augen auf sich; ersterer sagte gegen letzteren: das muß ein vortrefflicher Mann seyn. Sie wurden gewahr, daß man diesen ausgezeichneten Menschen Herr Göthe nannte.«

Johann Heinrich Jung-Stilling: ‘Heinrich Stillings Jugend, Jünglingsjahre und Wanderschaft’ (1777-78)

 Vermutliches Bildnis der Friederike Brion (anonym)
Vermutliches Bildnis der Friederike Brion (anonym)

»In diesem Augenblick trat sie wirklich in die Tür; und da ging fürwahr an diesem ländlichen Himmel ein allerliebster Stern auf. Beide Töchter trugen sich noch deutsch, wie man es zu nennen pflegte, und diese fast verdrängte Nationaltracht kleidete Friederiken besonders gut. Ein kurzes, weißes, rundes Röckchen mit einer Falbel, nicht länger, als daß die nettsten Füßchen bis an die Knöchel sichtbar blieben; ein knappes weißes Mieder und eine schwarze Taftschürze – so stand sie auf der Grenze zwischen Bäuerin und Städterin. Schlank und leicht, als wenn sie nichts an sich zu tragen hätte, schritt sie, und beinahe schien für die gewaltigen blonden Zöpfe des niedlichen Köpfchens der Hals zu zart. Aus heiteren blauen Augen blickte sie sehr deutlich umher, und das artige Stumpfnäschen forschte so frei in die Luft, als wenn es in der Welt keine Sorge geben könnte; der Strohhut hing ihr am Arm, und so hatte ich das Vergnügen, sie beim ersten Blick auf einmal in ihrer ganzen Anmut und Lieblichkeit zu sehn und zu erkennen.«

‘Dichtung und Wahrheit’, 2. Teil, 10. Buch

Charlotte Kestner, geb. Buff (1753 – 1828) Pastellgemälde von Johann Heinrich Schröder, 1782
Charlotte Kestner, geb. Buff (1753 – 1828) Pastellgemälde von Johann Heinrich Schröder, 1782 (links). Aus dem Titelkupfer zur ‘Werther’-Ausgabe von 1775 von D. Berger nach Daniel Nikolaus Chodowiecki
Titelseite der Erstausgabe, 1774. Titelkupfer zur ‘Werther’-Ausgabe von 1775
Titelseite der Erstausgabe, 1774 (links) Titelkupfer zur ‘Werther’-Ausgabe von 1775 von D. Berger nach Daniel Nikolaus Chodowiecki
»Die Werther-Leserin«. Tuschezeichnung von J. A. Nothnagel
»Die Werther-Leserin«. Tuschezeichnung von J. A. Nothnagel

»Weiß nicht, ob’s ’n Geschicht’ oder’n Gedicht ist; aber ganz natürlich geht’s her, und weiß einem die Tränen recht aus’m Kopf herauszuholen.« Matthias Claudius in ‘Der deutsche, sonst Wandsbecker Bothe’, 22. Oktober 1774 »Jede Leserin nehme sie in einer der glücklichen stillen Stunden in die Hand, wenn die Ebbe der Seele wieder Flut geworden ist. Die Geschichte davon ist so einfach und natürlich, als eine sein kann; nicht Roman, sondern allein Darstellung der Leiden des jungen Werthers aus seinem ganzen Wesen bis aus dem Mittelpunkte des Herzens heraus.« Johann Jakob Wilhelm Heinse in ‘Iris. Vierteljahrsschrift für Frauenzimmer’, Dezember 1774 »Als ich das Buch zum erstenmal gelesen, voll von dem süßen Tumult, den es in meiner Brust erregt, lief ich herum und pries es allen meinen Freunden an. Das erste Exemplar, das ich hatte (ein Geschenk des Verfassers) verehrte ich demjenigen Frauenzimmer das ich unter allen meinen Bekannten am höchsten schätzte [...].«

Jakob Michael Reinhold Lenz: ‘Briefe über die Moralität der Leiden des jungen Werthers’, 1775

»Prometheus erwehrt sich des Adlers« Zeichnung Goethes (Bleistift, Feder, Tusche)
»Prometheus erwehrt sich des Adlers« Zeichnung Goethes (Bleistift, Feder, Tusche), vermutlich erst nach 1787 (links) ‘Prometheus’ blieb über Jahre ein brisanter Text. Friedrich Heinrich Jacobi legte seiner Abhandlung ‘Über die Lehre des Spinoza’ (Breslau 1785) – ohne Rückfrage bei Goethe – dessen ‘Prometheus’ bei und schickte die abgebildete »Nachricht« voran.