Ungekürztes Werk "Torquato Tasso" von Johann Wolfgang Goethe
Johann Wolfgang Goethe
Torquato Tasso
Ein Schauspiel
PERSONEN
Alfons der Zweite, Herzog von Ferrara
Leonore von Este, Schwester des Herzogs
Leonore Sanvitale, Gräfin von Scandiano
Torquato Tasso
Antonio Montecatino, Staatssekretär
Der Schauplatz ist auf Belriguardo,
einem Lustschlosse.
ERSTER AUFZUG
Erster Auftritt
Gartenplatz, mit Hermen der epischen Dichter geziert.
Vorn an der Szene zur Rechten Virgil, zur Linken Ariost.
Prinzessin. Leonore.
Prinzessin: Du siehst mich lächelnd an, Eleonore,
Und siehst dich selber an und lächelst wieder.
Was hast du? Laß es eine Freundin wissen!
Du scheinst bedenklich, doch du scheinst vergnügt.
Leonore:
Ja, meine Fürstin, mit Vergnügen seh ich
Uns beide hier so ländlich ausgeschmückt.
Wir scheinen recht beglückte Schäferinnen
Und sind auch wie die Glücklichen beschäftigt.
Wir winden Kränze. Dieser, bunt von Blumen,
Schwillt immer mehr und mehr in meiner Hand;
Du hast mit höherm Sinn und größerm Herzen
Den zarten, schlanken Lorbeer dir gewählt.
Prinzessin:
Die Zweige, die ich in Gedanken flocht,
Sie haben gleich ein würdig Haupt gefunden:
Ich setze sie Virgilen dankbar auf.
Sie kränzt die Herme Virgils.
Leonore:
So drück ich meinen vollen, frohen Kranz
Dem Meister Ludwig auf die hohe Stirne –
Sie kränzt Ariostens Herme.
Er, dessen Scherze nie verblühen, habe
Gleich von dem neuen Frühling seinen Teil.
Prinzessin: Mein Bruder ist gefällig, daß er uns
In diesen Tagen schon aufs Land gebracht;
Wir können unser sein und stundenlang
Uns in die goldne Zeit der Dichter träumen.
Ich liebe Belriguardo, denn ich habe
Hier manchen Tag der Jugend froh durchlebt,
Und dieses neue Grün und diese Sonne
Bringt das Gefühl mir jener Zeit zurück.
Leonore: Ja, es umgibt uns eine neue Welt!
Der Schatten dieser immergrünen Bäume
Wird schon erfreulich. Schon erquickt uns wieder
Das Rauschen dieser Brunnen. Schwankend wiegen
Im Morgenwinde sich die jungen Zweige.
Die Blumen von den Beeten schauen uns
Mit ihren Kinderaugen freundlich an.
Der Gärtner deckt getrost das Winterhaus
Schon der Zitronen und Orangen ab,
Der blaue Himmel ruhet über uns,
Und an dem Horizonte löst der Schnee
Der fernen Berge sich in leisen Duft.
Prinzessin:
Es wäre mir der Frühling sehr willkommen,
Wenn er nicht meine Freundin mir entführte.
Leonore:
Erinnre mich in diesen holden Stunden,
O Fürstin, nicht, wie bald ich scheiden soll.
Prinzessin:
Was du verlassen magst, das findest du
In jener großen Stadt gedoppelt wieder.
Leonore:
Es ruft die Pflicht, es ruft die Liebe mich
Zu dem Gemahl, der mich so lang entbehrt.
Ich bring ihm seinen Sohn, der dieses Jahr
So schnell gewachsen, schnell sich ausgebildet,
Und teile seine väterliche Freude.
Groß ist Florenz und herrlich, doch der Wert
Von allen seinen aufgehäuften Schätzen
Reicht an Ferraras Edelsteine nicht.
Das Volk hat jene Stadt zur Stadt gemacht,
Ferrara ward durch seine Fürsten groß.
Prinzessin:
Mehr durch die guten Menschen, die sich hier
Durch Zufall trafen und zum Glück verbanden.
Leonore:
Sehr leicht zerstreut der Zufall, was er sammelt.
Ein edler Mensch zieht edle Menschen an
Und weiß sie festzuhalten, wie ihr tut.
Um deinen Bruder und um dich verbinden
Gemüter sich, die euer würdig sind,
Und ihr seid eurer großen Väter wert.
Hier zündete sich froh das schöne Licht
Der Wissenschaft, des freien Denkens an,
Als noch die Barbarei mit schwerer Dämmrung
Die Welt umher verbarg. Mir klang als Kind
Der Name Herkules von Este schon,
Schon Hippolyt von Este voll ins Ohr.
Ferrara ward mit Rom und mit Florenz
Von meinem Vater viel gepriesen! Oft
Hab ich mich hingesehnt; nun bin ich da.
Hier ward Petrarch bewirtet, hier gepflegt,
Und Ariost fand seine Muster hier.
Italien nennt keinen großen Namen,
Den dieses Haus nicht