Ungekürztes Werk "Torquato Tasso" von Johann Wolfgang Goethe (Seite 3)

gegen Tasso nur gerecht.

Sein Auge weilt auf dieser Erde kaum;

Sein Ohr vernimmt den Einklang der Natur;

Was die Geschichte reicht, das Leben gibt,

Sein Busen nimmt es gleich und willig auf:

Das weit Zerstreute sammelt sein Gemüt,

Und sein Gefühl belebt das Unbelebte.

Oft adelt er, was uns gemein erschien,

Und das Geschätzte wird vor ihm zu nichts.

In diesem eignen Zauberkreise wandelt

Der wunderbare Mann und zieht uns an,

Mit ihm zu wandeln, teil an ihm zu nehmen:

Er scheint sich uns zu nahn und bleibt uns fern;

Er scheint uns anzusehn, und Geister mögen

An unsrer Stelle seltsam ihm erscheinen.

Prinzessin:

Du hast den Dichter fein und zart geschildert,

Der in den Reichen süßer Träume schwebt.

Allein mir scheint auch ihn das Wirkliche

Gewaltsam anzuziehn und festzuhalten.

Die schönen Lieder, die an unsern Bäumen

Wir hin und wieder angeheftet finden,

Die, goldnen Äpfeln gleich, ein neu Hesperien

Uns duftend bilden, erkennst du sie nicht alle

Für holde Früchte einer wahren Liebe?

Leonore:

Ich freue mich der schönen Blätter auch.

Mit mannigfalt’gem Geist verherrlicht er

Ein einzig Bild in allen seinen Reimen.

Bald hebt er es in lichter Glorie

Zum Sternenhimmel auf, beugt sich verehrend

Wie Engel über Wolken vor dem Bilde;

Dann schleicht er ihm durch stille Fluren nach,

Und jede Blume windet er zum Kranz.

Entfernt sich die Verehrte, heiligt er

Den Pfad, den leis ihr schöner Fuß betrat.

Versteckt im Busche, gleich der Nachtigall,

Füllt er aus einem liebekranken Busen

Mit seiner Klagen Wohllaut Hain und Luft:

Sein reizend Leid, die sel’ge Schwermut lockt

Ein jedes Ohr, und jedes Herz muß nach –

Prinzessin:

Und wenn er seinen Gegenstand benennt,

So gibt er ihm den Namen Leonore.

Leonore:

Es ist dein Name, wie es meiner ist.

Ich nähm es übel, wenn’s ein andrer wäre.

Mich freut es, daß er sein Gefühl für dich

In diesem Doppelsinn verbergen kann.

Ich bin zufrieden, daß er meiner auch

Bei dieses Namens holdem Klang gedenkt.

Hier ist die Frage nicht von einer Liebe,

Die sich des Gegenstands bemeistern will,

Ausschließend ihn besitzen, eifersüchtig

Den Anblick jedem andern wehren möchte.

Wenn er in seliger Betrachtung sich

Mit deinem Wert beschäftigt, mag er auch

An meinem leichtern Wesen sich erfreun.

Uns liebt er nicht – verzeih, daß ich es sage! –,

Aus allen Sphären trägt er, was er liebt,

Auf einen Namen nieder, den wir führen,

Und sein Gefühl teilt er uns mit; wir scheinen

Den Mann zu lieben, und wir lieben nur

Mit ihm das Höchste, was wir lieben können.

Prinzessin:

Du hast dich sehr in diese Wissenschaft

Vertieft, Eleonore, sagst mir Dinge,

Die mir beinahe nur das Ohr berühren

Und in die Seele kaum noch übergehn.

Leonore:

Du, Schülerin des Plato! nicht begreifen,

Was dir ein Neuling vorzuschwatzen wagt?

Es mußte sein, daß ich zu sehr mich irrte;

Doch irr ich auch nicht ganz, ich weiß es wohl.

Die Liebe zeigt in dieser holden Schule

Sich nicht, wie sonst, als ein verwöhntes Kind:

Es ist der Jüngling, der mit Psychen sich

Vermählte, der im Rat der Götter Sitz

Und Stimme hat. Er tobt nicht frevelhaft

Von einer Brust zur andern hin und her;

Er heftet sich an Schönheit und Gestalt

Nicht gleich mit süßem Irrtum fest und büßet

Nicht schnellen Rausch mit Ekel und Verdruß.

Prinzessin:

Da kommt mein Bruder! Laß uns nicht verraten,

Wohin sich wieder das Gespräch gelenkt;

Wir würden seinen Scherz zu tragen haben,

Wie unsre Kleidung seinen Spott erfuhr.

Zweiter Auftritt

Die Vorigen. Alfons.

Alfons: Ich suche Tasso, den ich nirgends finde,

Und

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