Ungekürztes Werk "Torquato Tasso" von Johann Wolfgang Goethe (Seite 43)

bist’s!

Von dir hat ahnungsvoll mein Lied gesungen!

 

Und die verschmitzte kleine Mittlerin!

Wie tief erniedrigt seh ich sie vor mir!

Ich höre nun die leisen Tritte rauschen,

Ich kenne nun den Kreis, um den sie schlich.

Euch alle kenn ich! Sei mir das genug!

Und wenn das Elend alles mir geraubt!

So preis ich’s doch; die Wahrheit lehrt es mich.

Antonio: Ich höre, Tasso, dich mit Staunen an,

Sosehr ich weiß, wie leicht dein rascher Geist

Von einer Grenze zu der andern schwankt.

Besinne dich! Gebiete dieser Wut!

Du lästerst, du erlaubst dir Wort auf Wort,

Das deinen Schmerzen zu verzeihen ist,

Doch das du selbst dir nie verzeihen kannst.

Tasso:

O sprich mir nicht mit sanfter Lippe zu,

Laß mich kein kluges Wort von dir vernehmen!

Laß mir das dumpfe Glück, damit ich nicht

Mich erst besinne, dann von Sinnen komme.

Ich fühle mir das innerste Gebein

Zerschmettert, und ich leb, um es zu fühlen.

Verzweiflung faßt mit aller Wut mich an,

Und in der Höllenqual, die mich vernichtet,

Wird Lästrung nur ein leiser Schmerzenslaut.

Ich will hinweg! und wenn du redlich bist,

So zeig es mir und laß mich gleich von hinnen!

Antonio:

Ich werde dich in dieser Not nicht lassen;

Und wenn es dir an Fassung ganz gebricht,

So soll mir’s an Geduld gewiß nicht fehlen.

Tasso:

So muß ich mich dir denn gefangen geben?

Ich gebe mich, und so ist es getan;

Ich widerstehe nicht, so ist mir wohl –

Und laß es dann mich schmerzlich wiederholen,

Wie schön es war, was ich mir selbst verscherzte.

Sie gehn hinweg – O Gott! dort seh ich schon

Den Staub, der von den Wagen sich erhebt –

Die Reiter sind voraus – Dort fahren sie,

Dort gehn sie hin! Kam ich nicht auch daher?

Sie sind hinweg, sie sind erzürnt auf mich.

O küßt ich nur noch einmal seine Hand!

O daß ich nur noch Abschied nehmen könnte!

Nur einmal noch zu sagen: O verzeiht!

Nur noch zu hören: Geh, dir ist verziehn!

Allein ich hör es nicht, ich hör es nie –

Ich will ja gehn! Laßt mich nur Abschied nehmen,

Nur Abschied nehmen! Gebt, o gebt mir nur

Auf einen Augenblick die Gegenwart

Zurück! Vielleicht genes ich wieder. Nein,

Ich bin verstoßen, bin verbannt, ich habe

Mich selbst verbannt, ich werde diese Stimme

Nicht mehr vernehmen, diesem Blicke nicht,

Nicht mehr begegnen –

Antonio:

Laß eines Mannes Stimme dich erinnern,

Der neben dir nicht ohne Rührung steht!

Du bist so elend nicht, als wie du glaubst.

Ermanne dich! Du gibst zu viel dir nach.

Tasso:

Und bin ich denn so elend, wie ich scheine?

Bin ich so schwach, wie ich vor dir mich zeige?

Ist alles denn verloren? Hat der Schmerz,

Als schütterte der Boden, das Gebäude

In einen grausen Haufen Schutt verwandelt?

Ist kein Talent mehr übrig, tausendfältig

Mich zu zerstreun, zu unterstützen?

Ist alle Kraft erloschen, die sich sonst

In meinem Busen regte? Bin ich nichts,

Ganz nichts geworden?

Nein, es ist alles da! und ich bin nichts!

Ich bin mir selbst entwandt, sie ist es mir!

Antonio:

Und wenn du ganz dich zu verlieren scheinst,

Vergleiche dich! Erkenne, was du bist!

Tasso:

Ja, du erinnerst mich zur rechten Zeit! –

Hilft denn kein Beispiel der Geschichte mehr?

Stellt sich kein edler Mann mir vor die Augen,

Der mehr gelitten, als ich jemals litt,

Damit ich mich mit ihm vergleichend fasse?

Nein, alles ist dahin! – Nur eines bleibt:

Die Träne hat uns die Natur verliehen,

Den Schrei des Schmerzens, wenn der Mann zuletzt

Es nicht mehr trägt – Und mir noch über alles –

Sie ließ im Schmerz mir Melodie und Rede,

Die tiefste Fülle meiner Not zu klagen:

Und wenn der Mensch in seiner Qual verstummt,

Gab mir ein Gott zu sagen, wie ich leide.

Antonio tritt zu ihm und nimmt ihn bei der Hand.

Tasso:

O edler Mann! Du stehest fest und still,

Ich scheine nur die sturmbewegte Welle.

Allein bedenk, und überhebe nicht

Dich deiner Kraft! die mächtige Natur,

Die diesen Felsen gründete, hat auch

Der Welle die Beweglichkeit gegeben.

Sie sendet ihren Sturm, die Welle flieht

Und schwankt und schwillt und beugt sich schäumend über.

In dieser Woge spiegelte so schön

Die Sonne sich, es ruhten die Gestirne

An dieser Brust, die zärtlich sich bewegte.

Verschwunden ist der Glanz, entflohn die Ruhe. –

Ich kenne mich in der Gefahr nicht mehr

Und schäme mich nicht mehr, es zu bekennen.

Zerbrochen ist das Steuer, und es kracht

Das Schiff an allen Seiten. Berstend reißt

Der Boden unter meinen Füßen auf!

Ich fasse dich mit beiden Armen an!

So klammert sich der Schiffer endlich noch

Am Felsen fest, an dem er scheitern sollte.

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