Interpretation "Die Räuber – Kabale und Liebe – Wilhelm Tell" von Friedrich Schiller

Zweiundzwanzig Jahre liegen zwischen der Uraufführung der Räuber und der des Wilhelm Tell: scheinbar kein allzu langer Zeitraum. Und doch ist er übervoll mit Ereignissen wie kaum ein anderer. Die politische Welt hat das Ende des Ancien Régime, die blutige Selbstvernichtung der Revolution und den unaufhaltsamen Aufstieg Napoleons erlebt; für die literarische Welt liegt zwischen diesen Daten das gesamte dramatische Schaffen Friedrich Schillers. Erneuerer und Klassiker der Gattung – kein zweiter Bühnendichter aus dem deutschsprachigen Raum, nicht einmal Goethe, hat eine derartige Wirkung erzielt wie diejenige, die seinen Stücken im In- und Ausland beschieden war.

Alle Aspekte zu dem Phänomen Schiller aufzählen zu wollen, wäre ein enzyklopädisches Unterfangen, selbst wenn es nur um den Dramatiker Schiller ginge, der doch nie vom Philosophen, vom Lyriker, vom politischen Menschen Schiller zu trennen ist, weil alle seine Facetten nur im Zusammenhang verstehbar sind. Doch lassen sich trotzdem bei der Betrachtung der chronologisch am weitesten auseinanderliegenden Stücke Gemeinsamkeiten feststellen, die nicht nur zufällige Koinzidenzen sind, sondern sehr viel mit dem zu tun haben, was Schillers Position in der Weltliteratur ausmacht.

Was Karl Moor und Wilhelm Tell verbindet, lässt sich – mit aller gebotenen Vorsicht und bei allem berechtigten Vorbehalt gegen flächendeckende Schemata – in den meisten seiner dramatischen Hauptfiguren wiederfinden. Extrem verknappt könnte die Formel lauten: 'Rebellen und Individualisten.' Dies ist keineswegs eine Tautologie, sondern eine notwendige Differenzierung. Beide sind Rebellen: beide lehnen sich gegen den vorgefundenen Status quo auf und scheuen auch nicht davor zurück, Veränderungen mit Gewalt herbeizuführen. Mag ihre Motivation und ihre Legitimation noch so unterschiedlich erscheinen (sie sind es bei genauerer Betrachtung jedoch gar nicht): beide lassen sich unter das berühmte Motto in Tirannos (aus der vermutlich von Schiller gar nicht genehmigten "zwote[n] Auflage" der Räuber) subsummieren.

Doch erst der hinzukommende – niemals aber isolierte! – zweite Aspekt macht sie zu charakteristischen Figuren aus dem theatralischen Weltentwurf Schillers. Mag Karl Moor noch durch die für die Sturm-und-Drang-Periode typische Unmäßigkeit des 'Kerls' gekennzeichnet sein und Tells immer wieder aufkommende Störrigkeit mit den spezifischen Bedingungen der schweizerischen Bergbewohner in Verbindung gebracht werden – bei beiden lässt sich ein Hang zur egozentrischen Überbewertung der eigenen Lage nicht verleugnen.

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