Biographie Franz Kafka (Seite 4)

Kafka schreibt sich an der Prager Universität zunächst für Chemie ein – doch für die praktische Arbeit in einem Laboratorium zeigt er sich wenig tauglich und wechselt nach 14 Tagen erst zur Jurisprudenz, dann zur Germanistik, um im dritten Semester enttäuscht zum ,Jus' zurückzukehren. Nebenher hört der junge Student Vorlesungen in Philosophie, ist vorübergehend Mitglied der Prager Lese- und Redehalle der deutschen Studenten und hält sich als stiller Beobachter in diversen Literatencafés auf – u. a. im Café Arco in dem Kreis um den jungen Franz Werfel sowie im Café Louvre, wo sich die Anhänger des Philosophen Franz von Brentano versammeln. In diese umtriebige Zeit fallen Kafkas erste längere Prosatexte: eine erste Studie zum späteren Amerika-Roman, die Beschreibung eines Kampfes (1904) und Hochzeitsvorbereitungen auf dem Lande (1906) – Texte, die Kafka später für seine Publikationen (Betrachtung (1912)) verwendet. Seine Arbeitsweise besteht überhaupt darin, dass er sich mehr oder weniger absichtslos dem Schreiben überlässt und seine Texte später aus dem vorhandenen Material zusammenstellt.

Über das Ziel seines Studiums, seine Promotion, äußert sich Kafka halb belustigt, halb sarkastisch, und er wundert sich im nachhinein, dass er die Prüfungen überhaupt bestanden hat. Der Spott über das trockene, sinnleere Rechts- und Advokatenwesen schwingt noch in Kafkas beiden großen Romanfragmenten Das Schloß (ab 1914) und Der Prozeß (erste Entwürfe 1914, Niederschrift ab 1922) mit. Bezeichnenderweise war der Doktor der Rechte für 15 Jahre – bis zu seiner Pensionierung – nacheinander in den Assicurazioni Generali sowie der bereits erwähnten Arbeiter-Unfall-Versicherungs-Anstalt tätig: Er arbeitet sich vom Aushilfsbeamten und "Anstaltsconcipisten" bis zum Obersekretär mit 30 Untergebenen empor – was er nicht zuletzt wegen seiner Formulierungsgabe und seiner juristischen Vorbildung erreichten kann.

Zeit seines Lebens behält Kafka ein tiefes Gefühl des eigenen persönlichen Unwerts, und ebenso abschätzig denkt er über seine laufende schriftstellerische Produktion. Bei Durchsicht seiner Papiere zu Amerika bzw. Der Verschollene las er "[..] zuerst mit gleichgültigem Vertrauen, als wüßte ich aus der Erinnerung genau die Reihenfolge des Guten, Halbguten und Schlechten darin, wurde aber immer erstaunter und kam endlich zu der unwiderlegbaren Überzeugung, daß als Ganzes nur das erste Kapitel aus innerer Wahrheit herkommt, während alles andere, mit Ausnahme einzelner kleinerer und größerer Stellen natürlich, gleichsam in Erinnerung an ein großes aber durchaus abwesendes Gefühl hingeschrieben und daher zu verwerfen ist, d.h. von den 400 großen Heftseiten nur 56 (glaube ich) übrig bleiben." (Brief an Felice, 9./10. März 1913)

Franz Kafka zu Beginn des Studiums
Franz Kafka zu Beginn des Studiums

»Ich saß einmal vor vielen Jahren, gewiß traurig genug, auf der Lehne des Laurenziberges. Ich prüfte die Wünsche, die ich für das Leben hatte. Als wichtigster oder als reizvollster ergab sich der Wunsch, eine Ansicht des Lebens zu gewinnen (und – das war allerdings notwendig verbunden – schriftlich die anderen von ihr überzeugen zu können), in der das Leben zwar sein natürliches schweres Fallen und Steigen bewahre, aber gleichzeitig mit nicht minderer Deutlichkeit als ein Nichts, als ein Traum, als ein Schweben erkannt werde. Vielleicht ein schöner Wunsch, wenn ich ihn richtig gewünscht hätte.«

‘Er’. Aufzeichnungen aus dem Jahre 1920

Im Café Arco trafen sich auch die engeren Freunde Kafkas
Im Café Arco trafen sich auch die engeren Freunde Kafkas, der sogenannte Prager Kreis: Max Brod, Felix Weltsch und der blinde Oskar Baum. Sie lasen sich gegenseitig Texte vor, übten Kritik und halfen einander bei der Publikation ihrer Werke.

Als stiller Gast und aufmerksamer Zuhörer besuchte Franz Kafka häufig das Café Arco, das Prager Hauptquartier der Avantgarde in Literatur und Kunst.

Karl Kraus spöttelte über die‘Arconauten’: »Es werfelt und brodelt und kafkat und kischt.«

Franz Kafka zur Zeit der Promotion
Franz Kafka zur Zeit der Promotion

»Lieber Max,
ich hätte Dir eigentlich noch während meiner Prüfung schreiben sollen, denn es ist sicher, daß Du mir drei Monate meines Lebens zu einer anderen Verwendung gerettet hast als zum Lernen der Finanzwissenschaft. Nur die Zettelchen haben mich gerettet, denn dadurch erstrahlte ich dem M. als seine eigene Spiegelung mit sogar interessanter österrreichischer Färbung, und trotzdem er in dieser großen Menge befangen war, die er dieses halbe Jahr gesprochen hat, ich dagegen nur Deine ganz kleinen Zettelchen in der Erinnerung hatte, kamen wir doch zu der schönsten Übereinstimmung. Aber auch bei den andern war es sehr lustig, wenn auch nicht kenntnisreich.
Viele Grüße Dein F.K.«

An Max Brod, 16. März 1906

Das Gebäude der ‘Arbeiter- Unfall- Versicherungs- Anstalt für das Königreich Böhmen’
Das Gebäude der ‘Arbeiter- Unfall- Versicherungs- Anstalt für das Königreich Böhmen’, ein halbstaatliches Institut, das die Rechte der Arbeiter auf Unfallschutz und Versorgung nach Unfällen vertreten sollte.‘

»In meinen vier Bezirkshauptmannschaften fallen – von meinen übrigen Arbeiten abgesehen – wie betrunken die Leute von den Gerüsten herunter, in die Maschinen hinein, alle Balken kippen um, alle Böschungen lockern sich, alle Leitern rutschen aus, was man hinauf gibt, das stürzt hinunter, was man herunter gibt, darüber stürzt man selbst. Und man bekommt Kopfschmerzen von diesen jungen Mädchen in den Porzellanfabriken, die unaufhörlich mit Türmen von Geschirr sich auf die Treppe werfen.«

An Max Brod, Sommer 1909, auf dem Briefpapier der Arbeiter-Unfall-Versicherungs-Anstalt

Franz Kafka um 1910 als Beamter
Franz Kafka um 1910 als Beamter, »wohl eine Auswurfsklasse des europäischen Berufsmenschen«

»Abend, halb zwölf Uhr. Daß ich, solange ich von meinem Bureau nicht befreit bin, einfach verloren bin, das ist mir über alles klar, es handelt sich nur darum, solange es geht, den Kopf so hoch zu halten, daß ich nicht ertrinke.«

Tagebucheintrag vom 18. Dezember 1910

»Schließlich, das weiß ich ja, ist das nur Geschwätz, schuldig bin ich, und das Bureau hat gegen mich die klarsten und berechtigtesten Forderungen. Nur ist es eben für mich ein schreckliches Doppelleben, aus dem es wahrscheinlich nur den Irrsinn als Ausweg gibt.«

Tagebucheintrag vom 19. Februar 1911

Bericht der ‘Arbeiter-Unfallversicherungs-Anstalt für das Königreich Böhmen’
In ausgefeilten und zugleich ausufernden Sätzen legte der Versicherungsangestellte Franz Kafka die Gefahren am Arbeitsplatz, in diesem Fall einer Holzhobelmaschine, auseinander – aus einem Bericht der ‘Arbeiter-Unfallversicherungs-Anstalt für das Königreich Böhmen’ aus dem Jahre 1909.